Der erste Mai in Moskau, Warschau, Prag, Budapest, Ost-Berlin oder Bukarest. Menschen, d.h. Arbeiter und Bauern, marschieren mit geblümten Transparenten und Plakaten die Tribüne entlang, auf der sie ihre geliebten Führer sehen können, die ersten oder Generalsekretäre der kommunistischen oder sozialistischen Arbeiter- oder Volksparteien, umgeben von vertrauten und kampferprobten Kameraden der internationalen marxistisch-leninistischen Bewegung. Die strahlenden Menschen in der Parade schwenken rote Fahnen und tragen riesige Porträts der Heiligsten aller Heiligen – Marx, Engels, Lenin – Hand in Hand mit großen Puppen der Verdammten: Josip Bros-Tito, Harry Truman, Konrad Adenauer und vieler anderer. Die Demonstration findet – ja, Sie haben es richtig erraten – für den Frieden und Demokratie sowie soziale Gerechtigkeit statt und richtet sich gegen solche rückständigen Ideen wie Bigotterie, Faschismus, Nationalsozialismus, Nationalismus, Religion, Tradition, Autoritäten (Marx, Engels und Lenin ausgeschlossen) und die traditionelle Familie.
Es ist diesmal keine Mai-Parade. Es ist ein Karnevalsumzug. Und es findet nicht in Moskau, Warschau oder Ost-Berlin in den späten vierziger oder frühen fünfziger Jahren statt. Es ist fünfzig Jahre später im Westen. In Düsseldorf, um genau zu sein. Eine ähnliche Parade, die jedes Jahr stattfindet und an der viele Bürgern gerne teilnehmen, die davon überzeugt sind, Teil einer freier Welt zu sein. Eine Parade für, ja, schon wieder erraten Sie es richtig, Demokratie, Fortschritt und Freiheit. Eine Parade gegen diejenigen, die diese Werte gefährden. Gegen die heutigen Trumans, die heutigen Adenauers, die heutigen Titos, Verräter der heiligen Sache.
Die ehemaligen Paraden wurden von den Behörden organisiert; die von heute nicht. Die marxistischen Ideen sind zutiefst verwurzelt, auf der Graswurzelebene. Vergleichen Sie einfach die Bilder.
Nur die moralische Akzeptanz scheint sich verschoben zu haben. Die osteuropäischen Kommunisten behielten zumindest das Niveau und griffen nicht auf lüsterne Bilder des Geschlechtsverkehrs zurück. Aber die Zeiten haben sich verändert und sind – wie sollen wir es sagen? –fortschrittlicher geworden.