Nach dem für viele unerwarteten Resultat des britischen Referendums, könnte ein weiteres, diesmal in Italien, den Zusammensturz der EU nur noch mehr beschleunigen. Am 4. Dezember werden die Italiener über die politischen Reformen abstimmen. Die unbeabsichtigten Folgen der etwaigen Gesetzänderungen ebnen den Weg zur Durchführung des Referendums, in dem das Volk entscheiden könnte, ob es sich wünscht, die Lira wieder als nationale Währung einzuführen.
Um die Ursachen dessen zu verstehen, werfen wir erst einen Blick auf die aktuelle politische Struktur. Das italienische Parlament besteht aus der Abgeordnetenkammer (dem Unterhaus) und dem Senat (dem Oberhaus). Sie sind mit derselben Macht ausgestattet. Die neuen Rechtsvorschriften müssen von den beiden Häusern genehmigt werden, bevor sie zum Gesetz werden. Italien hat etwa zehn politische Parteien, denen es schwer fällt, eine Koalition und eine Regierung zu bilden, die bei der Mehrheit der Abgeordneten in beiden Häusern Unterstützung finden kann.
In den letzten anderthalb Jahren hat das italienische Parlament eine Reihe von Wahlreformen eingeleitet, das sogenannte „Italicum“.1)Italian electoral law of 2015, Wikipedia. Im neuen System bekommt die Partei, die 40% der Stimmen in der ersten Runde der Parlamentswahlen erreicht, 54% der Sitze in der Abgeordnetenkammer. Wenn keine Partei in der ersten Runde 40% der Stimmen erhält, wird man die Wahlen zwischen den beiden führenden Parteien austragen müssen. Was auch immer das Ergebnis der ersten Runde sein wird, heißt es für den Gewinner, (selbst wenn er, sagen wir mal, weniger als 25% in der ersten Runde haben wird,) dass er alles übernimmt und den größten Teil der Sitze bekommt. Dies ist eine drastische Änderung, von der die M5S (ital. MoVimento 5 Stelle – deutsche Übersetzung: Fünf-Sterne-Bewegung) profitieren wird – eine politische Partei in Italien, die sich immer mehr Popularität verschafft. Für sie ist es eine Gelegenheit, die absolute Mehrheit im Unterhaus zu erreichen und zwar ohne sich die absolute Mehrheit im Wahlkampf erkämpfen zu müssen.
Jedoch muss eine zukünftige Regierung den Senat in Kauf nehmen, deren Mitglieder durch ein regionales System gewählt werden. Parteien mit einer starken Vertretung in den Regionen werden es schaffen, einen Amtssitz im Senat zu gewinnen, doch aufgrund eines spezifischen Mechanismus vom Wahlverfahren kann ihnen an der Unterstützung im Volk mangeln, die benötigt wird, um bei der Abgeordnetenkammer genug große Vertretung zu gewinnen.
2016 hat das italienische Parlament eine Verfassungsreform verabschiedet, die, zur Vereinfachung des Gesetzgebungsprozesses, das „Senat als gewählte Kammer erfolgreich abschafft und sein Recht, gegen die Gesetze ein Veto einzulegen, deutlich einschränkt“. Und eben jetzt am 4. Dezember soll das Schicksal der Reform durch ein Referendum ausgetragen werden.
Die oben erwähnten Reformen würden die Politik Italiens in der Zukunft zutiefst ändern und das möglich machen, was zuvor als unmöglich galt.
Die Regierung Matteo Renzis ist für diese tiefgreifenden Reformen zuständig. Im Januar dieses Jahres kündigte Renzi an, nicht nur aus dem Amt zurückzutreten, sondern auch sich völlig aus der Politik zurückzuziehen,2)Renzi sulle riforme costituzionali: “Se perdo il referendum, lascio la politica”, Repubblica 2016-01-12.wenn seine Reformen vom Parlament nicht akzeptiert werden. wodurch er dem Referendum die Bedeutung eines Misstrauensvotums gegen sich und seine Politik beimaß. Seine Niederlage und sein Rücktritt aus der Politik könnten der M5S den Weg ebnen, dem aufgehenden Stern des politischen italienischen Firmaments und was dies mit sich zieht, dem davon angesagten Euro-Austritt-Referendum.3)Italy’s 5 Star Movement Callsfor Euro Referendum, The Wall Street Journal 2016-06-22,
Seitdem sich Renzi über seine Position Gedanken macht, fragt man sich, ob das vielleicht nicht der gleiche Fehler sein könnte, den der britische Premierminister David Cameron beging. Der Brite führte das Referendum zum EU-Austritt durch, um vor allem die euroskeptische Fraktion der britischen Konservativen loszuwerden, was jedoch damit endete, dass er die Stimmen und den Job verlor. Dies zeigte deutlich, wie weit die Mainstream-Parteien und die Wähler voneinander getrennt sind.
Die erste Möglichkeit: Renzi wird im Dezember gewinnen.
Zur Zeit zeigen die Meinungsumfragen über das Referendum am Sonntag, dass die meisten „Nein“ sagen würden. Die Zahl der Gegner stieg stark an, nachdem Renzi sehr persönlich sich dem Referenudm gegenübergestellt hatte. Sollten sich die Meinungsumfragen jedoch als falsch erweisen und Renzi Erfolg haben, bedeutet das aber nicht, dass die Durchführung des Referendums zum Euro-Austritt nicht stattfinden kann.
Die Grafik zeigt realtive Popularität der Parteien seit dem 25. Februar bis zur nächsten vermutlichen Abstimmung. Quelle: Wikipedia
Der Erfolg bei der Senatsreform und beim Referendum könnte der M5S helfen, die Wahlen 2018 zu gewinnen: die Einleitung der Senatsreform würde nämlich die Macht des Senats schwächen, somit würde die M5S das Problem los, mit dem sie sich sonst auseinandersetzen müsste, wenn es 2018 gewinnen sollte, ohne die meisten Stimmen zu gewinnen.
Die Abgeordnetenkammer würde damit zu einem Wettkampf zwischen den Demokraten Renzis und der M5S, wobei die beiden Parteien auf der politischen Szene Hauptrolle spielen würden.
Keine von denen beiden Parteien ist imstande sich in der ersten Runde 40% zu sichern, wodurch die zweite Runde höchstwahrscheinlich wird. Die Meinungsumfragen zeigen, dass die Demokraten, die in der ersten Runde etwa/ca. 30-35% der Stimmen erhalten werden, in der zweiten Runde von der Partei Sinistra Ecologia e Libertà, einer ökologischen Partei, unterstützt werden, die 5% der Stimmen mit sich bringen kann.
Die M5S kann vermutlich in der ersten Runde 25-30% der Stimmen kriegen, jedoch auf massive Unterstützung der Lega Nords Wähler (euroskeptische, nationalistische Partei von Berlusconi)4)Basta Euro.. Die Lega Nord kann mit 10-15% der Stimmen rechnen und ihre politischen Ziele decken sich mit denen der M5S, mindestens, wenn es um den Euro-Austritt geht.
10% der italienischen Wähler, deren Präferenzen gemischt sind, würden in der zweiten Runde eher die M5S als die demokratische Partei Matteo Renzis unterstützen.
Die M5S benötigt nicht die Mehrheit der Stimmen in der ersten Runde, um bei der nächsten Wahl als Sieger hervorzugehen: es reicht, wenn sie die meisten Stimmen in der zweiten Runde erhält. Die bröckelnde Popularität der Regierung Renzis ist ihr zu Gunsten.
Renzis Regierung kann aus den folgenden Gründen zur Rechenschaft gezogen werden:
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Bankskandal vom letzten Jahr dem beinahe der Zusammenbruch von Monte di Paschi folgte, der ältesten Bank der Welt, die von ihrer Geschichte her mit den Demokraten verbunden ist;
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Die Demokraten verloren die Macht wegen des Korruptionsskandals Mafia Capitale in der Stadtverwaltung von Rom, was die Stadt bei den Kommunalwahlen der M5S zu übergeben bedeutete;
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Ein anderer Bankskandal mit vier Regionalbanken in Mittelitalien, die auch mit den Demokraten verbunden sind, die ihre Kunden betrogen;
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mangelhafte Maßnahmen in der Migrantenkrise;
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wirtschaftliche Stagnation;
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die dauerhaft himmelhohe Jugendarbeitslosigkeit (40-45%),
Darüber hinaus besteht der demokratische Großteil der Wählerschaft aus Menschen, die mindestens 55 sind, während, was uns nicht überraschen sollte, die arbeitslose und enttäuschte Jugend die Anti-Establishment-Parteien wählen, wie M5S oder Lega Nord. Die Zeit kommt den Demokraten nicht zugunsten, denn ihre Wählerschaft ist dabei auszusterben, während die neuen Wähler (immer) mehr für die M5S sind.
Sollte Renzi im Dezember gewinnen, wird das Referendum zum Euro-Austritt nur bis zu den Wahlen 2018 verschoben.
Die zweite Möglichkeit: Renzi wird im Dezember verlieren.
Hier sind verschieden Wege möglich, wenn es jedoch zum Referendum zum Euro-Austritt kommt, scheint dabei „wenn“ als „falls“ von größer Bedeutung zu sein.
Wenn Renzi aus der Politik aussteigt oder von einem anderen Demokraten ersetzt wird, der die Mehrheit im Parlament genießen kann, wird das Szenario nicht anders als beim Renzis Sieg sein. Die Unlust der Demokraten entmachtet zu werden und ihre Unfähigkeit politisch manövrieren zu können, um ihre Regierung zu erhalten, werden ihrem Ruf nämlich nur noch mehr schaden und wenn man dazu noch gegen sie Argumente aufzählt, was 2018 auf sie zukommt, es sei denn ein Wunder geschieht und die Wirtschaft erlebt 2017 eine Wiederbelebung, dann haben sie nur geringe Chancen.
Sollte Renzi jedoch aus dem Amt treten so dass neue Wahlen stattfinden werden, kommt das oben beschriebene Szenario 2017 zu Stande, wahrscheinlich mit dem Sieg der M5S in der zweiten Runde. In diesem Szenario könnte das Referendum zum Euro-Austritt nächstes Jahr oder 2018 stattfinden.
Das größte Hindernis bei einem Referendum zum Euro-Austritt, ist die Voraussetzung eines neuen speziellen Verfassungsrechts. Ein neues Verfassungsrecht muss von beiden Kammern des italienischen Parlaments mit der absoluten Mehrheit genehmigt werden. In diesem Szenario lehnen die italienischen Wähler die Reformen ab, um die Macht des Oberhauses zu verringern. Zurzeit besteht die höchste Wahrscheinlichkeit, dass die M5S die meisten Stimmen im Unter- aber nicht im Oberhaus erhält, weil die Sitze im Senat in der regionalen und nicht in der nationalen Volksabstimmung verteilt werden und der M5S fehlt es an der Unterstützung in Regionen.
Sollte die M5S jedoch nicht die Mehrheit der Stimmen im Senat erlangen, werden sie wahrscheinlich beim „Euro-Referendum“ von der in anderen Fällen sonst zu ihnen gegenüberstehenden Oppositionspartei Lega Nord Unterstützung erhalten. Lega Nord besitzt in manchen Regionen genug Anhänger, was der M5S in dem Oberhaus helfen würde.
Die Italiener können bei ihren Versuchen vom Euro auszutreten von Brüssel gehindert werden, weil es dazu weder ein entsprechendes Recht in den EU Verträgen, noch Vorschriften, noch einen Artikel 50, usw., gibt. Die europäischen Verträge erfordern von den Mitgliedstaaten nur, den Euro einzuführen.
Im Gegenteil zu Großbritannien, gehörte Italien von Anfang an zu den Gründungsmitglieder der Europäischen Union. Großbritannien war nie ein großer Nettozahler der EU, da Margaret Thatcher in den 80ern den „Britenrabatt“, eine spezielle Vergünstigung, aushandelte, während Italien der drittgrößte Nettozahler Europas ist.
Wenn Italien, eine der führenden globalen Wirtschaften, den Euro verlässt, wird es langfristig günstig für Italien sein, doch kurzfristig können die westlichen Finanzmärkte ins Wanken geraten. Sollte jedoch das Land aus der EU austreten, wird es ein größerer Schlag für Brüssel als der Brexit sein.
Verabschiedet sich Italien vom Euro und eventuell auch von der EU, hat es einen anderen Ausmaß als der Brexit und wird nicht nur die ganze westliche Finanzwelt erschüttern, sondern auch den Mittelpunkt des europäischen Projektes in Schwingen bringen.
References
1. | ↑ | Italian electoral law of 2015, Wikipedia. |
2. | ↑ | Renzi sulle riforme costituzionali: “Se perdo il referendum, lascio la politica”, Repubblica 2016-01-12. |
3. | ↑ | Italy’s 5 Star Movement Callsfor Euro Referendum, The Wall Street Journal 2016-06-22, |
4. | ↑ | Basta Euro. |