Ich verbrenne das, woran ich bisher glaubte, ich glaube daran, was ich bisher verbrannte. Das ist die Lebenseinstellung eines durchschnittlichen weißen Europäers. Da die Flexibilität des menschlichen Verstandes keine Grenzen kennt, ist er durch eine unglaubliche Anpassungsfähigkeit an irgendwelche Ideen aller Art gekennzeichnet. Es soll uns also nicht wundern, wenn die Heiligkeiten von gestern heutzutage auf Verlegenheit stoßen, während das, was gestern ein Grund war, sich zu schämen, heute als völlig normal betrachtet wird. Für den menschlichen Verstand ist es gar nicht so schwierig das Böse gut zu nennen, und das Gute böse, die Finsternis als Licht zu bezeichnen und Licht als Finsternis, Saures für süß zu erklären und Süßes für sauer, wenn wir hier den Klassiker der Literatur zitieren dürfen.
Sogar vor dem Symbol, das als das größte Böse angesehen wird (ob man gläubig, oder nicht ist, spielt hier keine Rolle, Symbol bleibt Symbol), vor dem Luzifer, machte Saul Alinsky, der Berater von Hillary Clinton, eine Verbeugung. Sie thematisierte seine Gedanken sogar in ihrer Diplomarbeit. Sein berühmtes Buch „The Rules for Radicals” [Anweisungen für Radikale] beginnt er mit der folgenden Widmung an Satan:
Wie könnten wir wohl eine kleine Würdigung des allerersten Radikalen vergessen: Aus all unseren Legenden, Mythen und der Geschichte — und wer weiß schon genau, wo Mythen enden und die Geschichte beginnt, oder was davon was ist — ist uns der erste Radikale bekannt, der gegen das Establishment rebellierte, und das so effizient, dass er immerhin sein eigenes Königreich eroberte — Luzifer
Und? Bei keinem zuckten Wimpern.
Haben wir je darüber mal nachgedacht? Haben wir uns je mal gefragt, warum linke Anschauungen, linksorientiert zu sein, zur Tugend ernannt wurde, während Rechtsorientiertheit, rechte Anschauungen als ein Nachteil herabgewürdigt wurden? Denken wir mal darüber mindestens kurz nach. In vielen Kulturen, nicht nur in den europäischen, bezeichnet das Wort „recht“ aufrecht zu sein, gerecht, d.h. rechtschaffen und rechtsstaatlich. Tausende Jahre lang galt es als eine Auszeichnung, wenn man den Platz rechts von einer Person bekam; man schwor einen Eid, indem man die rechte Hand hob, man grüßte sich mit der rechten Hand, die legte man auch auf die Bibel oder auf die Brust, um etwas feierlich zu erklären, oder Treue zu schwören, oder ein Versprechen zu geben. Und nun wurde eben das Rechte, das Rechtmäßige durch den Dreck gezogen, wurde zu einem Unwort, das so verachtet wird, als würde jemand den Teufel an die Wand malen. Verblüffend.
Verblüffend ist die Flexibilität des menschlichen Verstands und wir scheinen sie nicht wahrnehmen zu können. Erinnern wir uns noch an die Geschichtsstunde oder den Dokumentarfilm im Fernsehen? Martin Luther, der Mönch, der sich im Zölibat zu leben verpflichtete, heiratet Katharina von Bora, die Nonne, die sich auch zur Ehelosigkeit verpflichtete, gründet eine Kirche, die bis heute seine Anhänger hat. Legte jemand einen Widerspruch dagegen? Von wegen. Und die andere Geschichtsstunde, erinnern wir uns noch an sie? Heinrich VIII. lässt sich mehrmals scheiden, einige von seinen ehemaligen Frauen lässt er köpfen und gründet, als wäre nichts passiert, daran können wir uns doch gut erinnern, die Anglikanische Kirche und erklärt sich zu ihrem Haupt. Über Nacht stellen Bischöfe und Gläubigen (mit einigen Ausnahmen wie etwa Thomas Morus) ihren moralischen Kompass neu ein und drängeln sich im königlichen Vorhof. Diese Tatsachen sind doch für seine Erben von heute kein Grund zur moralischen Unruhe.
Für unsere Vorväter waren Scheidung, Abtreibung, Schwangerschaftsverhütung, Sexualisierung von Kindern, Patchwork-Familien, Gender-Mainstreaming und, und, und, anstoßend. Uns wurde erfolgreich beigebracht, dass wir alle diese Erscheinungen als fortschrittlich für die Menschlichkeit empfinden sollen. Das ist die neue Regel.
Wenn ein durchschnittlicher Deutsche (ich führe dieses Beispiel zu meinem Leidwesen an, da die Deutschen anderweitig ein großartiges Volk sind) mit voller Bewusstsein länger als ein Jahrhundert leben könnte, dann wäre er der Reihe nach (i) ein teurer, patriotischer Untertan des Kaisers, (ii) dann ein loyaler Bürger der Weimarer Republik mit ihrem ganzen Nihilismus, (iv) dann ein kriegerisches, rassenbewusstes Mitglied der NSDAP, (v) zuletzt ein gegenüber Rassen gleichgültiger Bürger von West- oder Ostdeutschland, je nachdem, wo ihn das Schicksal zu leben ließ, (vi) um am Ende zum sich selbst hassenden Einwohner des vereinten Deutschlands zu werden, der beim ethnischen Austausch der eigenen Nation mitmacht, zugunsten der Tippelbrüder aus der Dritten Welt, und der Abtreibung und Schwangerschaftsverhütung nutzt und sich Partner mit nicht-europäischem Hintergrund aussucht, wodurch er die eigene Rasse zur Vernichtung verurteilt. Kein Rückgrat, als wären alle diese politischen, moralischen und kulturellen Angelegenheiten bloß Veränderungen in der Welt der Mode, wo man zwischen dem guten Geschmack und seinem Gegenteil nicht mehr unterscheidet, wie etwa im Falle der zerrissenen Jeans mit Löchern. Denken wir nur kurz darüber nach. Über Jahrtausende, überall in der Welt waren solche zerrissenen Kleider ein Anzeichen der Zugehörigkeit zu niedrigen Gesellschaftsschichten. Heutzutage werden sie stolz von ausgebildeten Frauen aus der Mittelschicht getragen, die bereit sind, für das Bettler-Requisit zu zahlen. Die unendliche Flexibilität des menschlichen Verstands in aller Kürze.