Der politische Schmerz Zyperns hält bis heute unvermindert an. Die Insel bleibt gespalten und die Wunden der türkischen Invasion von 1974 und der nachfolgenden Besatzung sind noch nicht ganz geheilt. Inmitten der byzantinischen Politik, die das heutige Zypern definiert, erscheint von Zeit zu Zeit eine Persönlichkeit, die den Rahmen sprengt.
Nun lassen wir uns Mustafa Akinci, den derzeitigen Führer des türkischen Zypern, genauer ansehen. Er ist eine bemerkenswerte Figur, insbesondere angesichts der jüngsten politischen Machenschaften und Tricks zwischen dem Präsidenten der Republik Zypern Anastasiades und Ankara.
Akinci, ein langjähriger Befürworter der Wiedervereinigung Zyperns und Sozialdemokrat aus Überzeugung, passt zur langen Ahnentafel der angesehenen zypriotischen Politiker. 1976 wurde er mit 28 Jahren Bürgermeister der türkischen Gemeinde Nikosia und war bis 1990 in dieser Funktion tätig. Daraufhin war Akinci unter anderem 16 Jahre lang Mitglied des Parlaments des sogenannten Nordzyperns und gründete die politische Partei der Friedens- und Demokratiebewegung.(BDH) Im April 2015 bekam er 60,38% Stimmen, um Anführer der türkischen Zyprioten zu werden, und schlug damit deutlich Dervis Eroglu’s 39,62%. 1)Mustafa Akinci gewinnt die Präsidentschaftswahlen in Nordzypern, The Guardian 2015-04-27.
Als Akinci die Macht übernahm, brachte er der Bewegung zur Wiedervereinigung Zyperns frischen Wind. Damit brachte er den Wunsch der beträchtlichen Mehrheit der Zyprioten zum Ausdruck, auf der Insel Normalität herzustellen und für sie eine tragfähige Lösung zu finden. „Anastasiades, der jahrelang politisch isoliert wurde, eilte, um Akinci (gleich nach der Wahl) zu gratulieren… die Republik Zypern begrüßt die Wahl von Mustafa Akinci als den Führer der türkischen zypriotischen Gemeinschaft, einen Mann, der bei seinen öffentlichen Auftritten und Erklärungen, die Notwendigkeit an der Wiedervereinigung des Landes betont hat. 2)Mustafa Akinci wins northern Cyprus presidential election, The Guardian 2015-04-27.
Während das mindestens wie ein Hoffnungsschimmer klingen konnte, muss dabei selbstverständlich auch die Türkei berücksichtigt werden. Akinci hat lang ein prekäres Verhältnis zu Ankara gehabt, das sich in den letzten Jahren mit dem Aufstieg des Präsidenten Erdoğan, wie vorherzusehen war, nur verschlechterte. Die Strongman-Taktik und Tyranie Erdoğans strahlt aus Ankara in alle Himmelsrichtungen aus. „Sobald Akinci gewählt wurde, wurde er vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan angegriffen und zu brüderlichen „Beziehungen“ mit der Türkei aufgefordert, anstatt dass er Beziehungen wie zwischen „Mutter“ und ihrem „Kind“ pflegt. Erdoğan hatte Akinci gewarnt, darauf aufzupassen, was er sagt und nicht zu vergessen, dass Ankara die türkischen Zyprioten finanzierte.3)CYPRUS: Akinci left alone to face Ankara’s bullying, Financial Mirror 2019-02-09.
Noch hat Akinci keine Angst, sich auf Augenhöhe mit Ankara zu messen und sich dafür einzusetzen, wovon er überzeugt ist, Recht zu haben. Seine Antwort zu dieser mündlichen Attacke von Erdoğan? „Ich stehe für alles, was ich gesagt habe,“ erwiderte Akinci in einer Live-Übertragung im türkischen Fernsehen. „Mir ist nicht nur bewusst, was ich sage, aber ich sage es in Übereinstimmung mit meinem Gewissen, mit meinen Gefühlen und mit vollem Verstand.4)CYPRUS: Akinci left alone to face Ankara’s bullying, Financial Mirror 2019-02-09.
Eine Umwandlung zum Bund ist für die Insel immer noch eine von allen Interessierten bevorzugte Lösung: von der UNO, EU, Türkei, von Griechenland, von den Vereinigten Staaten und von Großbritannien. 5)Cyprus: Options for a Solution, International Policy Digest 2018-10-02.Man muss dabei zwischen der Idee einer Föderation und der einer Konföderation oder eines „unverbindlichen Bundes“ unterscheiden, da die beiden etwas ganz anderes bedeuten und ganz unterschiedliche Auswirkungen haben werden, da sie zwei sehr unterschiedliche Sachen sind und sehr unterschiedliche Auswirkungen für die Zyprioten haben.
„Der grundlegende Unterschied zwischen einer Konföderation und Föderation ist es, das die erstgenannte keine Gründung eines Staates bedeutet. Sie wäre ein Bündnis souveräner Länder, der Mitglieder der UNO, mit dem Zweck eine Vereinbarung zustande zu bringen, im deren Rahmen eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik betrieben werden könnte. In einer Föderation würden diese Politikbereiche ganz anders aussehen. Es soll dabei unterstrichen werden, dass es kein Lehrbuchmodell für eine Föderation gibt. Es gibt nämlich 20 Föderationen in der Welt, in denen insgesamt 40 Prozent der Weltbevölkerung lebt.(A federation explained, Cyprus Mail 2016-11-06.))
Ein „unverbindlicher Bund“ oder eine Konföderation wäre für beide Teile der Insel zutiefst erschütternd: sie würden nur weiter auseinanderklaffen und damit entstehende Probleme würden sich nur anhäufen. Nordzypern würde noch näher an Ankara heranrücken. Das entspräche natürlich perfekt den Interessen des selbsternannten „Strongmans“, Präsidenten Erdoğan.
Ein „unverbindlicher Bund“ würde zweifellos eine wirksame Separation bedeuten und der Türkei ermöglichen, ihre Besatzung der Insel zu verstärken. Bereits seit 1974 führt Ankara demographische Umwandlung Nordzyperns durch. Moderne, pro-europäische türkische Zyprioten, die sich eine Vereinigung wünschen, würden zur Minorität im Norden wegen der aggressiven Politik der Türkei, die die Region mit Türken aus Anatolien wiederbesiedelt. Infolgedessen haben viele türkische Zyprioten keine andere Wahl als die Insel für immer zu verlassen. Die Lage erinnert an die israelische Besetzung der palästinensischen Gebiete, wo Einsiedler Vorhut einer schleichenden Kolonisierung waren. Es ist eine alte Unterdrückungtaktik, für die es nur einige Beispiele in der Welt von heute, wie etwa Tibet und Krim, gibt.
Entscheidend war, dass auch Anastasiades Bewfürworter der Föderation war, bis er neulich seine Taktik änderte. Mit einem Schritt, auf den selbst Machiavelli stolz gewesen wäre, zog er den Teppich unter den Füssen aller, die eine Föderation anstreben, indem er den „unverbindlichen Bund“ vorschlug. Warum das so hinterlistig war, war die Tatsache, dass Anastasiades Annäherungsversuche zu dieser Frage mit türkischem Außenminister Mevlut Cavusoglu während einer Sitzung hinter verschlossenen Türen unternahm. Was besprochen wurde, bleibt geheim. Im Allgemeinen ist die Türkei nicht gegen die Idee einer Föderation oder die einer Teilung. 6)Anastasiades Criticised on Idea of ‘Loose Federation’, LGC News 2018-11-29.
Im Oktober 2018 bestätigte Anastasiades den Parteiführern, welche Lösung er im Moment bevorzugt: „ … ein unverbindlicher Bund oder eine Konföderation, womit ein kleiner zentral regierter Staat gemeint ist, mit wenigen Behörden, die in beiden Gliedstaaten ihren Sitz haben.7)Our View: So now we want the Denktash option after all, Cyprus Mail 2018-10-11.
Es ist also ein historischer Moment in der Geschichte von Zypern, weil „ein unverbindlicher Bund“, „eine dezentralisierte Konföderation“, eine „Konföderation“ oder eine beliebige andere Form immer von der beträchtlichen Mehrheit der Zyprioten und von ausländischen Akteuren, darunter auch von der UNO immer abgelehnt wurde. Als die langfristige „Marionette“ von Ankara, der sogenannte Gründungspräsident von Nordzypern, Rauf Denktash sich für Konföderation für Zypern aussprach, wurde er verurteilt. Bezeichnenderweise distanzierte sich sogar Präsident Erdoğan, in seinen frühen Jahren auf dem Amt, von Denktash und hielt, mindestens dann, seine Unterstützung für Wiedervereinigung bei.
Darüber hinaus gab Cavusoglu bekannt, dass Anastasiades hinter der verschlossenen Türen eigentlich anbot, die Insel mit entsprechenden Gesetzen zu separieren, wenn die Türken ihre Armee von der Insel entfernen würden. Es scheint, dass Anastasiades jetzt mehr als glücklich ist, wenn er direkt mit dem türkischen „Besatzer“ verhandeln kann und somit dem ganzen Zypern und Akinci schadet.
Nun muss sich Akinci damit abfinden, dass er alleine da steht. Anastasiades ist scheinbar zufrieden, Akinci zu unterminieren, und die Türkei will ihn politisch isolieren und ihn von den zukünftigen Wiedervereinigunggesprächen auszuschließen. Trotzdem hat Akinci gezeigt, dass er bereit ist, nicht nachzugeben.
„Im Gegenteil dazu, woran in der Öffentlichkeit geglaubt wird, verliefen die Gespräche zwischen Akinici und Ankara nicht durch einen Ein-Weg-Kommunikationskanal, wo Ankara diktierte und Akinci gehorchte. Es waren harte, stundenlange Verhandlungen mit Erdoğan insbesondere, wenn es um Fragen der Gebiete und Garantien ging … Er drohte sogar mehrmals vom Verhandlungstisch wegzugehen, wenn Ankara auf ihrem Standpunkt zu sehr behaart.“8)Akinci: A lone fighter who won’t give up, Cyprus Mail 2019-02-03.
Die Beziehungen zwischen Akinci und Anastasiades werden sich nun selbstverständlich irreversibel verschlechtern. Während einige Akinci als politisch naiv sehen, ist es schwer seinen politischen Hintergrund zu identifizieren und sein geschicktes Balancieren nachzuvollziehen, das er zum Vorschein bringt, wenn er Nordzypern repräsentiert und gleichzeitig Ankara missbilligt – etwas, was ihm seit Jahren gelingt. Es ist wie ein Spiegelbild von Anastasiades, der keine Skrupel, Prinzipien und Ehre hat. Akinci wollte Anastasiades Glauben schenken, der brachte aber das Gefallen nicht zurück.
„Akinci schenkt viel Glauben Menschen, denen er vertraut, betonte Kahvecioglu [ein Vertrauter und Freund von Akinci]. Er vertraute sehr Anastasiades. Er sah ihn in erster Linie als einen Freund, und dann als seinen politischen Pendant. Er glaubt, dass sie durch ihre Freundschaft alle politischen Unterschiede hätten überwinden können.9)Akinci: A lone fighter who won’t give up, Cyprus Mail 2019-02-03.
“Die letzte Sache, die Zypern jetzt benötigt, ist politische Doppelzüngigkeit und der Versuch, etwas auf Treibsand aufzubauen. Anastasiades sollte sich es lange überlegen, wovon er eigentlich anscheinend eigenhändig träumte und auf seine Ideen konzentrieren. Die Zyprioten verdienen etwas Besseres.
Ganz geschweige davon, dass es keine sogar kleinste Zustimmung zu einer losen Föderation auf der Seite der Mehrheit der Inselbewohner gibt, also man beginnt Fragen aufzuwerfen, ob Es wäre seltsam, wenn Anastasiades in die Geschichte Zyperns eingehen wollte, und wenn schon, dann als eine negative Gestalt.
Andererseits scheint Akinci an seine Prinzipien zu halten: Feigheit und Bereitschaft, wenn es notwendig ist, alleine zu handeln.
Wenn wir über das ganze Gefüge: Föderationen, unverbindliche Bunde und Konföderation sprechen, müssen wir noch auf einen wichtigen Aspekt hinweisen Es sind Zyprioten, die an einen „einheitlichen“ Staat glauben, insbesondere die Fürsprecherbewegung der Einheitlichkeit, die „Union der Zyprioten“ genannt wird.
Ihr Ursprung geht auf Organisationen Weltunion der Türkisch-sprechenden Zyprioten und eine alte Jugendorganisation genannt LINOBAMBAKI zurück. Ihre Argumentation basiert meistens auf der Tatsache, dass Unterdrückung der türkisch-sprechenden Zyprioten durch die Türkei ihre Spitze erreichte und dass Ankaras Politik der demographischen Wandel in der demographischen Politik Ankaras auf Zypern gravierende Probleme, unabhängig von der der Art der vorgeschlagenen Lösung, in naher Zukunft mit sich bringen wird. So glauben sie, dass die Forderung der Rückkehr dazu, was sie schon haben, zur einheitlichen Republik Zypern ist ein einziger Weg, um diese Tragödie zu beenden.
Präsident der Union der Zyprioten, Oz Karahan, sagte „ausgenommen einen einheitlichen Staat, bedeuteten alle Lösungen, einschließlich Föderation, die Fortsetzung des Einflusses der Türkei auf die Insel. Heutzutage sind türkische Zyprioten gerade 10 Prozent der Bevölkerung auf den besetzten Gebieten. Der Rest der Bevölkerung sind illegale türkische Umsiedler, die aus Anatolien nach der Besetzung kamen. Anders als die auf der Insel anwesende türkische Soldaten sind diese Umsiedler wie türkische Freikorps, die als Instrument sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Unterdrückung der türkisch sprechenden Zyprioten verwendet werden.“
Als wir Karahan fragten, was er an diesen Status Quo denkt, antwortete er: „In fünf bis 0 Jahren wird es im zypriotischen Norden keine linke politische Szene mehr geben, dafür aber zwei Millionen illegaler türkischer Umsiedler. Alle Zyprioten und Politiker, die sie wählen, üben sich in Schuldzuweisungen und politischen Tricks ein, und glauben dadurch Zeit zu gewinnen. In der Tat verlieren sie dadurch alles. Zuerst müssen die türkisch-sprechenden Zyprioten ihre Heimat verlassen, und dann werden – in zwanzig, dreißig Jahren – möglicherweise auch unsere griechisch-sprechenden zypriotischen Brüder gehen müssen. Gefangen auf einer abgelegenen Insel mit Millionen von Anatolier – was denken sie? Wie lange werden sie sich wehren können? Ich weiß es nicht. Aber die einzige Sache, die ich weiß, ist dass, wenn wir nicht zu dem Grundgesetz von 1960 zurückkehren und auf seiner Basis alles von vorne beginnen und dabei fordern, dass alle türkischen Umsiedler und Soldaten die Insel verlassen, wird Zypern demnächst nicht mehr Zyprioten gehören. Um zu verhindern, dass dieses geschieht, müssen beide zypriotischen Gemeinschaften ihren Verpflichtungen nachkommen.“
Probleme einer kleinen Gemeinschaft zu lösen, die politisch sogar innerlich polarisiert ist, ist fast unmöglich. Die türkische Besetzung dauert schon 45 Jahre. Und heute, was wir da haben, ist ein halbes EU-Land, ein Puzzle und eine türkisch-sprechende zypriotische Gemeinschaft, die versucht, trotz der Unterdrückung von der Türkei in ihrer Heimat zu leben – es ist fast wie ein blutloser Völkermord. Wir müssen noch mal den letzten Faktor unterstreichen, den alle an diesem Spiel Beteiligten zu vermeiden versuchen. Wir sprechen über den massiven ethnischen Austausch, der durch die Türkei durchgeführt wird, die das Schicksal der Insel beeinflusst und für immer beeinflussen wird, sowohl auf der sozialen als auch auf der politischen Ebene. Dieses eigentliche Thema wird am Verhandlungstisch nicht besprochen und jeder versucht es zu ignorieren, während irreale Friedensverhandlungen über Jahrzehnte andauern.
Wir müssen darüber nachdenken, was Europa durch diese Ignoranz verliert. Wenn alles so bleibt, dann gibt es zweierlei Antworten: die eine, die Gesamtheit des Gebietes, und die andere, die Bevölkerung anbelangt.
References
1. | ↑ | Mustafa Akinci gewinnt die Präsidentschaftswahlen in Nordzypern, The Guardian 2015-04-27. |
2. | ↑ | Mustafa Akinci wins northern Cyprus presidential election, The Guardian 2015-04-27. |
3, 4. | ↑ | CYPRUS: Akinci left alone to face Ankara’s bullying, Financial Mirror 2019-02-09. |
5. | ↑ | Cyprus: Options for a Solution, International Policy Digest 2018-10-02. |
6. | ↑ | Anastasiades Criticised on Idea of ‘Loose Federation’, LGC News 2018-11-29. |
7. | ↑ | Our View: So now we want the Denktash option after all, Cyprus Mail 2018-10-11. |
8, 9. | ↑ | Akinci: A lone fighter who won’t give up, Cyprus Mail 2019-02-03. |