Im Dezember 2019 läuft das Abkommen über den Erdgastransit durch die Jamal-Pipeline zwischen Russland und der Ukraine aus. Fast gleichzeitig soll die Nord Stream 2-Pipeline – ein gemeinsames russisch-deutsches Unternehmen, an dem französische und niederländische Unternehmen beteiligt sind – fertiggestellt sein, das in Kombination mit Nord Stream 1 eine vergleichbare Kapazität wie die von Jamal haben wird. So kann die Ukraine – aber auch Weißrussland und Polen – mit Einverständnis ihrer Partner in der Europäischen Union aus dem Transitgeschäft ausgeschlossen werden.
Einige Fakten1)Ukraine–Nord Stream 2: Struggle Over Gas Transit, Warsaw Institute 2019-01-15; Ukraine has made great progress in reforming the gas sector – but its fate still hangs in the balance, energypost.eu 2018-08-10; Russland droht Europa im Streit um Nord Stream 2, Handelsblatt 2019-02-12.
(i) In den Jahren 2011 und 2017 pumpte Russland zwischen rund 50 und 105 Milliarden Kubikmeter Gas. Beide Nord Stream-Linien haben zusammen eine Kapazität von 110 Kubikmeter, so dass auf Jamal theoretisch ganz verzichtet werden kann.
(ii) Ohne Nord Stream 1 und 2 könnten sich die Ukraine und Russland gegenseitig in Schach halten: Moskau könnte kein Gas durch die Ukraine nach Westeuropa transportieren, ohne den Forderungen Kiews nachkommen zu müssen. Kiew müsste von der Europäischen Union unterstützt werden, weil ihre Mitgliedsstaaten vom Gastransit abhängig wären.
(iii) Die Ukraine erhält eine Transitgebühr, die einen beträchtlichen Beitrag zu ihrem Budget leistet und Mittel für die Instandhaltung der Pipeline gewährleistet, so dass zu geringe Einnahmen aus dieser Quelle für Kiew es schwermachen werden, die Pipeline zu instand zu halten.
(iv) Moskau wünscht sich keine Vermittler in seinen Geschäften mit den westlichen Partnern und möchte (besonders auf diese Weise) die Politik von Kiew nicht finanzieren, die gegenüber Moskau feindselig ist.
(v) Ebenso wollen die Vereinigten Staaten nicht als militärischer Verteidiger Europas weiter fungieren, wenn sie sehen, dass europäische Verbündete Amerikas die russischen Rüstungsausgaben durch den Kauf von russischem Gas finanzieren.
(vi) Die westeuropäischen Länder – auch als die alte Union bekannt – möchten bei der Aufnahme von Geschäften mit Russland als Souveräne auftreten und reagieren allergisch auf alle Versuche der Vereinigten Staaten, die ihre Freiheit einschränken könnten.
(vii) Obwohl die Ukraine über beträchtliche eigene Gasvorkommen verfügt, reichen diese nicht aus, um die Nachfrage des Landes zu decken. Kiew ist gezwungen, russisches Gas zu kaufen, und das durch westliche Vermittler.
(viii) Polen, Weißrussland und die Ukraine fühlen sich von Moskau und einigen ihrer westlichen Partnern ausgetrickst, und deshalb haben diese Länder noch Einwände gegen den Bau von Nord Stream 2 erhoben, obwohl die Europäische Union im Interesse aller ihrer Mitgliedsstaaten handeln soll. Deutschland, Frankreich und Niederlande sorgen mehr für ihre eigenen Interessen und nutzen die wirtschaftliche und politische Instabilität der Ukraine als Vorwand, um dieses Land bei Geschäften mit Russland zu umgehen.
(ix) Kiew argumentiert, dass es im Interesse Westeuropas liegt, zu verhindern, dass die Jamal-Pipeline nicht mehr benutzt wird, da sie die einzige Alternative zu Nord Stream 1 und 2 ist, falls es ein Ausfall oder notwendige Reparaturen zeitweilig erfordern.
(x) Die Europäische Union kann Sanktionen gegen Russland verhängen und sie jährlich erneuern, doch ihre Hauptakteure – Deutschland und Frankreich – machen nach wie vor Geschäfte mit Moskau. Niemand kann sich in seinen kühnsten Träumen vorstellen, dass das Nord Stream 2-Projekt einige Monate vor seinem Abschluss aufgrund der Proteste der EU-Mitgliedstaaten eingestellt wird.
Rationalistische Schlussfolgerungen
(i) Mit einer Gasversorgung, die unabhängig von ihrem Transit durch die Ukraine ist, wird das Interesse der Europäischen Union an diesem Land erheblich abnehmen. Auf der politischen Bühne verliert Kiew gewiss an Einfluss.
(ii) Der Druck der USA auf die EU wird anhalten, bleibt aber vergeblich, auch wenn die Vereinigten Staaten möglicherweise ähnliche Maßnahmen ergreifen würden, die sie gegen das chinesische Huawei angewendet haben. Washington kann sich nur auf die osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten verlassen, die sich außer Acht gelassen fühlen. 2)USA wollen Pipeline Nord Stream 2 stoppen, Zeit Online 2018-11-13; US-Botschafter schreibt deutschen Firmen Drohbrief, Zeit Online 2019-01-13.
(iii) Obwohl die Europäische Union (und vor allem Berlin) sich intensiv mit den innenpolitischen Fragen der Ukraine befasst haben, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie ein Abkommen mit Moskau geschlossen worden ist, in dem der Ukraine eine unterstützende Rolle zugewiesen wird.
(iv) Selbst angesichts der flagranten Missachtung der ukrainischen Interessen, die die westlichen Partner von Kiew zeigen, werden sich die ukrainischen Eliten weiterhin um eine engere Allianz mit der Europäischen Union bemühen. Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum ihre Bestrebungen wenig Beachtung fanden.
References
1. | ↑ | Ukraine–Nord Stream 2: Struggle Over Gas Transit, Warsaw Institute 2019-01-15; Ukraine has made great progress in reforming the gas sector – but its fate still hangs in the balance, energypost.eu 2018-08-10; Russland droht Europa im Streit um Nord Stream 2, Handelsblatt 2019-02-12. |
2. | ↑ | USA wollen Pipeline Nord Stream 2 stoppen, Zeit Online 2018-11-13; US-Botschafter schreibt deutschen Firmen Drohbrief, Zeit Online 2019-01-13. |