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NBC kann nicht begreifen, warum Polen Trump lieben und Stalinisten hassen.

[Ein Brief von einem Gefira-Leser]

Die westlichen linksorientierten Medien (vom Standpunkt Mittel- oder Osteuropas her scheinen sogar die sogenannten rechtsorientierten westlichen Medien der linken Szene zu neigen) kommentieren manchmal Ereignisse in Polen, Tschechien, Ungarn oder in der Slowakei und verhalten sich dabei wie ein älterer Bruder und verpassen ihren osteuropäischen Partnern einen Rüffel, wenn sie sich nicht so benehmen, wie es von ihnen erwartet wird. In einem ähnlichen Ton erscheinen die Berichte über den Besuch des Präsidenten Donald Trumps in Warschau und über seine Rede, die er an einer für die polnische Geschichte bedeutenden Gedenkstätte hielt, mit dem grandiosen Denkmal des Warschauer Aufstands vom 1944 im Hintergrund (der Aufstand wird im Westen mit dem viel kleineren im Warschauer Ghetto von 1943 verwechselt).

Man hat den Eindruck, dass die linksorientierten Medien die Berichte genießen, in denen steht: die Polen seien von jeder Ecke ihrer Hauptstadt zusammengetrieben worden, um dem amerikanischen Präsidenten eine angemessene Begrüßung sicherzustellen.1)To Welcome Trump, Poland Taps Old Communist Party Playbook, NBC News 2017-07-03., was ich folgendermaßen kommentiere:

  1. es hätte ja passieren können, aber, wenn ich meine Landsleute gut kenne, weiß ich, dass niemand von ihnen gezwungen werden muss, amerikanische Präsidenten zu begrüßen;
  2. dieselben Methoden wurden eingesetzt, als Polen in die Arme der EU gejagt wurde – die Journalisten beschäftigten sich komischerweise kaum damit, da alle überzeugt waren, dass alle vernünftigen Menschen von dieser europäischen Organisation eingesaugt werden wollen.

Ich erinnere mich an die Zeit vor dem Beitritt unseres Landes in die EU: man konnte damals kaum Atem holen, ohne diese klebrige, in alle Ecken eindringende Propaganda einzuatmen, die uns überzeugen wollte, dass die EU der Weg zur Erlösung sei. Einer der angesehenen Professoren ging sogar einen Schritt weiter und sagte, dass der EU-Beitritt meines Landes mit der Christianisierung Polens (vom 966, als Polen auf der Landkarte Europas erstmals als ein selbständiges politisches Subjekt erschien) vor gut ein tausend Jahren vergleichbar sei. Unglaublich, nicht wahr?

 


Trumps Rede in Warschau– gut aufgenommen

Ich und meine Frau, sowie andere tausende polnischer Intellektuellen, hörten genau zu, was uns der Präsident Trump zu sagen hat und fühlten uns davon wirklich hingezogen. Unsere ganze linke Szene (d.h. die ehemaligen Kommunisten, die übrigens alle den Beitritt Polens zur EU befürworteten) äußerten sich natürlich (um hinter ihren westlichen Partnern nicht zurückzubleiben und sie vielleicht ja auch überholen) kritisch über die Rede des Präsidenten. Sie rasselten mit dem Säbel, weil der amerikanische Präsident vom polnischen Präsidenten und der parlamentarischen Mehrheit empfangen wurde, die bei der linksorientierten Szene, gelinde gesagt, unbeliebt ist. Kein Wunder, dass sie sich darüber erzürnten. Na ja, Donald Trump sprach über Gott und Patriotismus und über den tapferen Kampf gegen den Islam und den Fluss der Menschen aus der Dritten Welt.

Für uns, polnische Patrioten, (die im Westen als Nationalisten abgestempelt werden, Nationalisten – ein anstößiges Wort, noch schlimmer sind nur die Wörter Rassist und Antisemit) sieht der Westen wie ein Patient aus, der psychophysisch behandelt werden soll. Das, womit sich Polen identifizieren, wird im Westen kritisiert und umgekehrt.

2013 wurde auf der Breslauer Universität Zygmunt Bauman empfangen, ein Professor jüdischer Abstammung. In den vierziger und fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war er Offizier des Korps für Innere Sicherheit (KBW), der Hand in Hand mit dem NKWD, den stalinistischen Killern (die tausende von Russen und Ukrainern töteten) bei der Fahndung, Verfolgung und Ermordung tausender polnischer Patrioten mitwirkte, die in den Nachkriegsjahren die sowjetische Regierung in Polen nicht akzeptierten. Junge Menschen störten den Besuch Baumans auf der Universität und forderten die Gerechtigkeit walten zu lassen. Obwohl sie in den linksorientierten Medien als Hooligans dargestellt wurden, brachten sie doch die Gefühle der Nation zum Ausdruck. In den sechziger Jahren, als nationalistische Tendenzen in der Kommunistischen Partei Polens die Oberhand gewannen, gingen Zygmunt Bauman und seine Gleichen ins Ausland (was im Westen als Ausdruck des polnischen Antisemitismus gedeutet wurde und noch heute so gesehen wird; wer hätte sich Sorgen wegen des Antipolonismus gemacht?). Manche Teilnehmer der Proteste gegen den Baumans Besuch, die von den jungen Patrioten (solche sind im Westen unbekannt) veranstaltet wurden, wurden festgenommen. So wurden die Patrioten WIEDER dafür bestraft, dass sie den Opfern des Professors Ehrerbietung zeigen wollten und sich dagegen sträubten, dem ehemaligen kommunistischen Apparatschik Ehre zu erweisen.

Oben: polnische Patrioten protestieren gegen den Soziologieprofessor Zygmunt Bauman, den ehemaligen kommunistischen Apparatschik.

Zygmunt Bauman in der Uniform des KBW-Offiziers.

Im besprochenen NBC-Artikel präsentieren die Autoren im Allgemeinen das, wofür sich anscheinend Polen ausspricht und veröffentlichen ein Foto, auf dem eine Riesendemo gegen die Verschärfung des Antiabtreibungsgesetzes zu sehen ist, um den westlichen Leser auf diese Weise zu überzeugen, dass eben so das „fortschrittliche” Polen aussieht. Ja, Polen würden als fortschrittlich aus der westlichen=linken Sicht angesehen, wenn sie so viele Kinder abtreiben würden, dass es genug Platz für Menschen aus der Dritten Welt geschaffen würde. Wir müssen euch enttäuschen, ihr westliche Intellektuellen: wir, Polen, sehen die Welt ein bisschen anders. Im Gegensatz zu euch, ist der Patriotismus kein anstößiges Wort bei uns und wir sehen uns mit Erschrecken zu, was ihr mit euren Ländern machtet – sie werden langsam zu den Orten, wo man nicht mehr leben kann. Und wisst ihr was? Für uns ist Donald Trump kein Teufel in Menschengestalt – für euch doch. Sicherlich könnt ihr das kaum begreifen, aber ein patriotischer Teil der Bewohner des Landes an der Weichsel den jetzigen amerikanischen Präsidenten gut findet, einfach aus dem Grund, dass er wie ein Mensch und nicht wie ein Zombie redet. Es ist paradox, aber im Gegenteil zu den europäischen Führern können Donald Trump und Vladimir Putin in ihren Reden auf den Gott und Patriotismus Bezug nehmen. Es sieht also danach aus, als es zwischen zwei Großmächten, die nicht in der EU sind, eine gottlose Wüste gäbe. Nicht nur im religiösen Sinne.

References   [ + ]

1. To Welcome Trump, Poland Taps Old Communist Party Playbook, NBC News 2017-07-03.

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