Der europäische Blickwinkel. Auf dem Weg in die Welt von Morgen.




Als Misserfolg angesehenes Aufnahmequoten-System spaltet Europa

Die Migrationskrise hat Mitgliedstaaten der Europeischen Union geteilt. Mit dem zunehmenden Andrang der Ankömmlinge wird der Missklang zwischen Deutschland und den Visegrád-Staaten zunehmen. Mit Ausnahme von Wladimir Putin wird niemand daraus Nutzen ziehen.

Das Problem der Immigranten und Flüchtlinge hat Stimmungen  europeischer Völker entfesselt. Politiker scheinen ihre Sinne verloren zu haben und sich durch Emmotionen leiten zu lassen.
Die Fehler der Vergangenheit lassen sich leider nicht wieder gutmachen, und deren Folgen europeische Einheit für mehrere Jahre belasten werden.

Ungarn, Polen, Tschechien und Slovakei gemeinsam als informelle Visegrád-Gruppe (V4) bekannt, lehnen den von Deutschland und Frankreich forcierten Vorschlag des Aufnahmequoten-Systems¹ ab. In Zukunft schlägt dies auf Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten Europeischer Union zurück. Dessen Zeichen sind bereits heute zu spüren.

In westlichen, besonders in deutschen, Massenmedien wird eine Kampagne gegen östliche Nachbarn geführt. Ungarn wurde kritisiert und mit Nazis² verglichen, weil es sich um das Einhalten der Dubliner Verordnung3, d.h. des europeischen Gesetzes über Asylbewerber bemüht hat. Wie es uns die letzte Finanzkrise in den USA, sowie die Verschuldungskrise in Griechenland unterrichtet haben- es führt immer zur politischen Tragödie, wenn man die früher festgelegten Prinzipien missachtet.

Von Deutschland und Österreich wurde zuerst der ungarische Ministerpräsident Victor Orban fürs Versperen der Grenzen heftig kritisiert. Jetzt wird er von ihnen nachgeahmt, indem die beiden Länder auch die Kontrolle an den Grenzen wiederherstellen und die Armee zum deren Schutz hinschicken4.

In einer der Hauptzeitschriften Deutschlands, u.d.T.” Die Welt” beschuldigt der Autor Osteuropa des fehlenden Schamgefühls, der Intoleranz,  Provinzialität und Xenonophobie. Der Historiker verleumdet die Polen, indem er sie Antisemiten nennt („eigentlich haben Polen während des letzten Krieges mehr Juden umgebracht als Deutsche”5). Jetzt droht ihm ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung des Polnischen Volkes. Auch Frankreich hat die Flüchtlings-Politik  Osteuropas als „skandlös” bezeichnet6.

Vorsitzender des Europeischen Parlaments- Hr. Martin Schulz drohte den osteuropeischen Ländern mit  „Gewaltanwendung” im Zweck der Einführung europeischen Gemeinschaftsgeistes7. Deutscher Innenminister schlug die Auferlegung der Sanktionen diesen EU-Ländern vor, die das  Aufnahmequoten-System  ablehnen würden8. Vor allem war diese Aussage an die Nachbarn im Osteuropa gerichtet. Amerikanisches Magazin „The New York Times” schloss sich den Beschuldigenden an, indem es den postkommunistischen Ländern  rechtsextremistische Bewegungen, Nationalismus, Rassismus und Vorurteile vorwarf9.

In Osteuropeischen Ländern ist die Meinung weit verbreitet, daß es ein nächster Beweis der unverantwortlichen und kurzsichtiger Politik Westeuropas ist. Der Westen tut alles, um Osteuropa zu enttäuschen und vice versa. Deutschland und die Kanzlerin Angela Merkel verlieren an Popularität10, der sie sich in Polen und in anderen Ländern der Region erfreut haben. Das ist ein Vorteil für Russland, das bereits während der Krise in der Ukraine sich bemüht hat, die Unterstützung von Ungarn, Tschechien und Slovakei zu erwerben.

Im Zusammenhang mit der sich auf Europa ausbreitenden Migrationswelle steht auch die Stärkung der Position Russlands in Syrien. Während man im Westen immer noch meint, daß USA das Hauptziel der Djihadisten ist, sind Russland, Zentralasien und West-China vielmehr angriffsgefährdet. Syrien ist ein Anziehungspunkt für viele moslemischen Kämpfer aus Tschetschenien, Kaukasus, Europa und Zentralasien ; der Fluchtweg ist hingegen die Türkei.

Die Niederlage der Freien Syrischen Armee FSA (oder der ISIS , Al Nusra etc.) in Syrien bedeutet nicht deren Vernichtung, sondern die Verdrängung deren Kämpfer in die Türkei. Vladimir Putin ist sich darüber im Klaren, daß der Erfolg von Assad und die Niederlage der FSA eine neue Migrationswelle bewirkt, und daß die Türkei nicht zögern würde sie wieder nach Europa zu richten.

Im Juli erlangte der syrische Konflikt eine neue Dimmension, nachdem die Türkei angefangen hatte den Hauptverbündeten Europas und Amerikas, d.h. Kurden zu Gunsten der FSA zu bekämpfen.
Die von Deutschland und USA geschulten und nachgerüsteten Peschmerg (kurdische Kämpfer) sind jetzt im vollen Krieg gegen Türkische Armee. In derselben Zeit begannen die in der Türkei eingesiedelten Flüchtlinge nach Europa zu strömen. Die Menschen, die jetzt an die EU-Grenzen  gelangen, verbrachten dort ungefähr zwei Jahre, manchmal in Verhältnissen der Ernährungskrise11 und ohne entsprechende Unterstützung von Europa. Die Politiker können verschiedenen Narrationsarten Halt geben, aber die Beziehungen zwischen Ankara und Europa waren nie schwieriger als jetzt.

geoTurkey is the pivot for people moving in and out Syria

Abgesehen davon, ob das Aufnahmequoten-System angenommen oder nicht angenommen werden würde, würde sich in den Staaten der Visegrád-Gruppe, ähnlich wie früher in Griechenland, eine negative soziale Einstellung zu Deutschland bilden.

Grundsätzlich wolllen die Flüchtlinge (hauptsächlich Syrier) nicht in die Visegrád – Staaten kommen, oder in denen bleiben. Ihre Zielorte sind Deutschland und Schweden. Sie in solche Länder, wie Polen einzuweisen, hat wenig Sinn, denn sie dann legal oder illegal doch nach Westen auswandern.

Laut polnischer Zeitung „Rzeczpospolita” haben mehr als 35% der  Flüchtlinge aus Syrien Polen  gleich nach dem Erhalt des Flüchtlingsstatusses verlassen. Die Neuankömmlinge  werden mit Sicherheit ähnlich vorgehen und damit den ganzen Juncker-Plan zunichte machen. Wenn die Visegrád-Länder die Aufnahmequoten sogar akzeptireren würden, so könnten die Einwanderer nicht dazu gezwungen werden in Polen, Slovakei etc. wie Gefangene zu bleiben. Die Anweisung  Europeischer Kommission12 und deutscher Politiker13, die Flüchtlinge des Rechtes zur Wahl des Zielstaates zu berauben, ist den Menschenrechten widrig.

Es ist schwer festzustellen, im  welchen Grad die Visegrád- Länder imstande sind, die Integration der durch den Krieg traumatisierten Flüchtlinge zu realisieren, wenn sie selber keine frühere Erfahrung in der Lösung von Immigrationproblemen haben. Doch der grösste Unterschied zwischen dem Osten und dem Westen Europas liegt in der Bereitschaft zur Bildung des multikulturellen Europas. Ein  derartiger Vorschlag wäre für die Regierungen der Visegrád-Gruppe ein Wahl-Selbstmord, denn die homogenen Gesellschaften dieser Länder reagieren empfindlich auf Einschränkungen ihrer Souverenität14.  Der Europeischen Kommission oder einem anderen Organ die Erlaubnis dafür zu geben, daß sie darüber entscheiden, wer und in welcher Menge in ihr Land einwandern darf, das steht in diesen Staaten ausser Debatte.

Während Deutsche auf die herzliche Begrüssung der Flüchtlinge stolz sind, macht man sich in solchen Ländern, wie Polen oder Slovakei Gedanken darüber, wie viele von Einwanderern vor allem das Geld aus der Sozialhilfe anzielen. In polnischen Massenmedien werden Fälle der Fälschung von Personalausweisen15 ,  des Ankommens von Ex-Djihaddisten oder der Finanzierung der Schmuggler von saudischen, islamischen Quellen gezeigt. Der Ministerpräsident von Slovakei schätzt ein, daß 90% der Immigranten nicht wirklich in der Notsituation sind16.  In Polen sinkt die Befürwortung des Empfangs der Flüchtlinge  und teilt die Gesellschaft17.

Wenn es dazu kommt, daß die EU- Länder den Konsens erreichen und sich dem  Aufnahmequoten-System anpassen, werden die Länder der Visegrád-Gruppe, die  für Flüchtlinge kein Zielort sind, nicht in der Lage sein die Einwanderer davon abzuhalten, daß sie nach Deutschland, Frankreich oder Schweden flüchten. Diese, sozusagen, Ziel-Länder wären dann aber auch aus den sozialen Gründen nicht mehr imstande  der Herausforderung gerecht zu werden. Dann wäre es möglich daß, sie die Länder der Visegrád-Gruppe wieder beschuldigen; dieses Mal des Nichteinhaltens ihrer Versprechens.

Die Teilung Europas wäre dann immer grösser- die Länder der V4-Gruppe würden homogen bleiben, während die westeuropeischen Länder zu immermehr multikulturellen Gesellschaften  würden. Das Aufnahmequoten-System aufrecht zu erhalten wird mit jeder nächsten Migrationswelle immer schwieriger sein.

Der Euro-Skeptizismus würde in den Ländern der V4-Gruppe an Kraft zunehmen. Nationalistische Tendenzen erwachen auch in Frankreich, Schweden, Dänemark und selbst in Deutschland. Der Schlüsselfaktor sind auch ökonomische Folgen solcher Situationsentwicklung; viele Personen in Deutschland oder in den Niederlanden sehen in Neuankömmlingen die  (potentielle)Arbeitskraft für die technologische Industrie und für ICT, aber es kann sich erweisen, daß solche Erwartung lediglich Wunschdenken ist, denn die Immigranten aus den technologisch schwach entwickelten Ländern kommen.

Ein zweites Szenario- das Aufnahmequoten-System wäre  nie angenommen worden. Politisch gesehen, könnte es für die Länder der Visegrád-Gruppe einen Schlag bedeuten, denn westeuropeische Länder die Visegrád-Länder der fehlenden Solidarität beschuldigen könnten. Aktuell, scheint die Migrationsfrage für beide Ländergruppen sehr wichtig zu sein, obwohl „ideologische” Differenzen sehr wesentlich sind. Bei diesem Szenario würde Deutschland keine NATO-Basis in Polen akzeptieren, wodurch Mittel-und Osteuropa dann grössere Gefahr laufen würde, von Russland unter Druck gesetzt oder sogar angegriffen zu werden. Die Bereitschaft, die Länder der Visegrád-Gruppe im Rahmen der strukturellen EU-Politik  finanziell zu unterstützen würde sinken, obwohl die Befürwortung der EU in den Ländern der Visegrád-Gruppe stark mit  Uniongeldern zusammenhängt.

Die Migrationskrise schafft, also, ein geopolitisches „schwarzes Szenario” in Europa: die Europeische Union, ideologisch und politisch stark in zwei Bereiche geteilt – den „ alten” multikulturellen  und den „neuen” homogenen.  In solch einer Situation wäre Polen gezwungen, sich  wegen der immer grösseren Gefährdung von Russland in Richtung USA zu orientieren. Parallel dazu würden Tschechien, Slovakei (unter Ländern der V4-Gruppe ein enziges Mitglied der  EURO- Zone ) und Ungarn nach einer neuen Position im geopolitischen System Europas streben. Die Komplikationen der Art könnten die Atmosphäre wirklich heiss machen. Die Niederlage von FSA und der Sieg von Assad würde fürs Europa, das in der Migrationskrise steckt „ Öl ins Feuer Giessen” bedeuten, und für Putin hingegen, wäre es ein zusätzlicher Nutzen seiner Politik in Syrien.

 

Internet-Quellen:

1. EU fails to reach deald on migrant quotas Source: The Telegraph 14-09-2015
Core of ex-Communist eastern states block efforts by Germany and France to secure agreement on sharing out responsibility for sheltering refugees.

2. Austrian chancellor compares Hungary’s treatment of migrants to the Jews under the Nazis Source: The Telegraph 12-09-2015
The neighbouring countries exchange bitter recriminations as Hungary struggle to contain the inflow.

3. Die Kritik an Ungarn ist unredlich Source: Der Tagesspiegel 05-09-2015
Auf der Suche nach europäischer Solidarität im Umgang mit Flüchtlingen misst Deutschland mit zweierlei Maß. Ungarn respektiert die EU-Regeln. Ein Kommentar.

4. Austria says army will help impose tougher border checks
Source: Reuters 14-09-2015
Austria said on Monday it would dispatch the armed forces to help impose additional controls on its eastern border, belatedly following Germany’s example as thousands of migrants streamed across its frontier from Hungary on foot.

5. Die Osteuropäer haben kein Schamgefühl Source: Die Welt 13-09-2015
Voller Freude wurden Polen und Ungarn EU-Mitglieder, wegen der “gemeinsamen Werte”. Und nun lehnt man Flüchtlinge ab. Das herzlose Verhalten und die kaltschnäuzige Rhetorik sind beispiellos.

6. France criticises eastern Europe, Hungary over refugee policy Source: Reuters 30-08-2015
Aug 30 French Foreign Minister Laurent Fabius accused eastern European states, notably Hungary, on Sunday of a “scandalous” policy towards refugees going against the values of the European Union.

7. Martin Schulz und das »Europa des Gemeinschaftsgeistes« Source: Youtube 09-09-2015

8. Berlin calls for sanctions on EU states that reject refugee quotas Source: Deutsche Welle 15-09-2015
Germany wants to cut European Union funding to countries that refuse to share the burden of hosting refugees under a quota system. A crisis meeting of EU ministers failed to reach an agreement on managing the influx.

9. Eastern Bloc’s Resistance to Refugees Highlights Europe’s Cultural and Political Divisions Source: The New York Times
WARSAW — Even though the former Communist countries of Central and Eastern Europe have been asked to accept just a tiny fraction of the refugees that Germany and other nations are taking, their fierce resistance now stands as the main impediment to a unified European response to the crisis.

10. Poles love Merkel Source: Radio Poland 25-07-2015
The Polish stereotype of “the odious German” has long passed out of date, writes German newspaper “Suedwest Presse.”

11. 1.7m Syrian refugees face food crisis as UN funds dry up Source: The Guardian 01-12-2014
World Food Programme forced to suspend food voucher scheme to refugees in Jordan, Lebanon, Turkey, Iraq and Egypt.

12. Refugee Crisis: European Commission takes decisive action – Questions and answers Source: Europa.eu 09-09-2015
What is the European Agenda on Migration? Tackling migration is one of the ten political priorities of this Commission.

13. Refugee crisis: Emergency EU migrant talks as border controls return to Europe
Source: The Telegraph 14-09-2015
Germany and Austria temporarily reintroduce border controls as tens of thousands of migrants pour in ahead of talks on Monday.

14. Sisyphus und die Solidarität Source: Sueddeutsche Zeitung 16-09-2015
Ja, es ist erschreckend, wie manche Politiker in Osteuropa über Flüchtlinge reden und sich gegen deren Aufnahme sperren. Aber man wird dieses Problem nicht durch die Ausgrenzung und Bestrafung dieser Länder lösen.

15. Journalist orders fake Syrian passport for Dutch PM Mark Rutte Source: NL Times 16-09-2015
Journalist Harald Doornbos managed to get his hands on a genuine Syrian passport displaying a photo of Prime Minister Mark Rutte. All it took was one phone call and a 40 hour wait. “All you need is the telephone number of one of the many passport forgers and converted 750 euros.”

16. Even if quotas passed by majority, Slovakia not to give consent: Slovak PM Source: China.org.en 17-09-2015
If the mandatory quotas on resettlement of migrants are passed next week in Brussels by a qualified majority despite the disapproval of Slovakia, the Slovak Government still won’t give its consent to them, claimed Slovak Prime Minister Robert Fico in the Parliament on Wednesday.

17. Video: EU refugee quotas expose Polish divide Source France 24 13-09-2015
As Europe’s interior ministers gather on Monday to discuss the continent’s migrant crisis, Poland’s stance on the issue of compulsory refugee quotas could prove decisive.


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