Lange Zeit herrschte in der EU eine Familienidylle. Westeuropäische Länder bemühten sich fleißig, den osteuropäischen Ländern Kapitalismus und Demokratie beizubringen, osteuropäische Länder dagegen sahen in Ihren Lehrern Ihre Vorbilder, denen sie folgen wollten. Westeuropa lieferte Geld für Entwicklung und „Osteuropa“ nickte gehorsam zu. Die „europäische Einheit“ blühte und keiner hat erwartet, dass sich die Kinder auch politisch äußern können. In letzten Jahren bekam diese Idylle aber schwere Risse.
Zuerst wurde festgestellt, dass ein Familienmitglied abhängig ist (Griechenland), später hat sich anderes Mitglied für eine Scheidung erklärt (Großbritannien). Beide solche Nachrichten beeinflussen jede Familie. Sicheres und wohlfühlendes Zuhause wird in Frage gestellt und die Kinder verlieren dabei oft das Gefühl, dass die Eltern fehlerlos sind und alles unter Kontrolle haben. Die Eltern verlieren dagegen die Nerven.
Bei dieser Krise wurde noch eins klar: die Kinder sind nicht mehr so klein, wie man sie behandelt. 27 Jahre nach dem Zerfall des kommunistischen Regimes und 12 Jahre nach dem EU-Beitritt beginnen sie sich zu emanzipieren und eigene Aufsichten durchzusetzen. Dabei halten sie manche „Alte“ schon für zu senil, um eine zeitentsprechende Politik zu führen. Die Muster, die diese Länder verwendet haben, scheinen in heutiger Zeit nicht mehr zu funktionieren. Familienidylle ist in Trümmern.
Starke Gegenstimme aus Zentraleuropa
In westeuropäischen Medien sind die Stimmen aus Zentraleuropa immer noch missachtet, und doch, zentraleuropäische Staaten bekommen langsam Selbstbewusstsein, sich selbst politisch äußern zu können und gemeinsam Wege aus der herrschenden Krise zu finden.
Die lange Zeit fade Visegrád-Gruppe (auch V4 genannt, lose Kooperation der mitteleuropäischen Staaten: Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn), die mehr als 65 Millionen Einwohnern auf einer Fläche von ca. 530.000 km² vertritt, beginnt langsam wieder Ihre Stärke zu finden, vor allem da, wo es um Durchsetzung der gemeinsamen Interessen der Mitgliedstaaten gegenüber der EU geht.
Die erhöhte Kooperation dieser Gruppe hat schon auch Angela Merkel bemerkt, als sie versuchte, beim Visegrad-Gipfel, die Premierminister der einzelnen Staaten über Ihre Politik zu überzeugen1)Geschlossen gegen Merkel, Quelle: FAZ 2016-08-26. Erfolglos. Die V4 nutzt den kommenden EU-Gipfel in Bratislava, den einer von V4-Mitgliedern veranstaltet, um gemeinsame Stellungnahme zur „Flüchtlingskrise“ durchzusetzen.2)Visegrad group to table proposals at Bratislava summit, Quelle: EurActiv 2016-09-2016
Das V4-Potenzial wurde schon auch in anderen Ländern wahrgenommen. Als der österreichische Präsidentenkandidat Norbert Hofer nach Prag zum Empfang von tschechischen Präsidenten gekommen ist, hat er sich für eine „Union in Union“ ausgesprochen3)FPÖ-Kandidat Hofer: Will an einem Modell der Union in der EU arbeiten, Quelle: Radio Praha 2016-09-12 und die Stellungnahme der V4 unterstützt. Es ist auch kein Geheimnis, dass V4 im Rahmen des Projektes V4+ die Erweiterung um Österreich und Slowenien plant4)Do jednání Visegrádu se zapojí i Slovinsko a Rakousko, Quelle: Ceska Televize 2014-04-03.
Dass in dieser Region ganz andere Realität und ganz andere Ansicht an die Flüchtlingskrise und Zukunft Europas als in Berlin herrscht, ist nicht zu bestreiten. Am Wirtschaftsforum in Krynica (Polen), wo übrigens alle V4-Ministerpräsidenten anwesend waren, wurde dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban der Titel „Man of the Year“ von der polnischen Ministerpräsidentin Beata Szydło verliehen5)Viktor Orban named ‘Man of the Year’ at Krynica, Quelle: Radio Poland 2016-09-07. Eine Auszeichnung für Orbans Politik, die früher unter anderen Johannes Paul II., Lech Wałęsa, Donald Tusk oder letztendlich Jarosław Kaczyński bekommen haben. Jarosław Kaczyński hat auch in diesem Forum mit Viktor Orban an einem Panel teilgenommen, bei dem sie eine „Kulturelle Kontra-Revolution“ für Europa bekannt machten6)A Nationalist Eastern Europe Could Reshape the EU, Quelle: Bloomberg 2016-09-07.
Wie sich die Zusammenarbeit dieser Gruppe stärkt, so wächst proportional die Hysterie der um Brüssel vereinigten Anhänger. Der luxemburgische Auslandsminister Jean Asselborn hat sich geäußert, dass Ungarn die EU verlassen solle, weil da unter anderem die Pressefreiheit und Justizunabhängigkeit nicht vorhanden seien7)Luxembourg foreign minister: Hungary should leave EU, Quelle: Politico 2016-09-13. Diese Kritik an einen V4-Staat ist allerdings schon bekannt. Nach den Wahlen in Polen, die eine starke Regierung bauen ließen, die sich auch selbstbewusst gegenüber manchen EU-Vorschlägen stellt, wurde auch die Pressefreiheit und Unabhängigkeit der Justiz in Polen in Frage gestellt. Bis heute untersucht die Venedig-Kommission der Europäischen Kommission die Rechtsstaatlichkeit in Polen8)Die Venedig-Kommission kommt erneut nach Polen, Quelle: Radio Poland 2016-09-09.
All dieser Kummer der EU um die Demokratie in einzelnen Staaten kommt immer unmittelbar dann, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat demokratisch gegenüber Brüssel-Politik äußert. Nachdem Tschechien und die Slowakei ihre Ablehnende Quotenpolitik erklärt haben, hat sich der deutsche Innenminister Thomas de Maiziére für das ZDF geäußert, dass das EU-Geld an diese Länder der ablehnenden Quotenpolitik wegen gestoppt sein müsse. Nach seinen Worten, unterstütze er diesen Plan, der laut ihm von EK-Vorsitzenden Jean-Claude Juncker käme9)Nechcete uprchlíky, dostanete méně peněz z fondů EU, ozývá se z Německa, Quelle: Noviky.cz 2015-09-15.
Die V4 beginnt in der EU eine reale Stärke darzustellen, die länger nicht ignoriert werden kann. Nicht nur der geopolitischen Lage wegen, die durch die Interessenerweiterung nach Osten das unbestrittene Mitteleuropa darstellt. Die Länder sind sich auch dessen bewusst und versuchen langsam eigene Initiativen z.B. gegenüber Ukraine zu treiben.
Diese Länder sehen sich nicht mehr in der Lage, der Stimme aus Brüssel einwandfrei zu folgen, sondern beginnen selbständig die Stimme Brüssels mitzubestimmen. Dieses Selbstbewusstsein ist oft in Westeuropa als EU-Kritik gesehen. Die Realität ist aber wie auch oft ganz anders. Diese Länder sehen Ihre Zukunft in EU, aber in so einer, wo Ihre Stimme zu hören ist.
References
1. | ↑ | Geschlossen gegen Merkel, Quelle: FAZ 2016-08-26 |
2. | ↑ | Visegrad group to table proposals at Bratislava summit, Quelle: EurActiv 2016-09-2016 |
3. | ↑ | FPÖ-Kandidat Hofer: Will an einem Modell der Union in der EU arbeiten, Quelle: Radio Praha 2016-09-12 |
4. | ↑ | Do jednání Visegrádu se zapojí i Slovinsko a Rakousko, Quelle: Ceska Televize 2014-04-03 |
5. | ↑ | Viktor Orban named ‘Man of the Year’ at Krynica, Quelle: Radio Poland 2016-09-07 |
6. | ↑ | A Nationalist Eastern Europe Could Reshape the EU, Quelle: Bloomberg 2016-09-07 |
7. | ↑ | Luxembourg foreign minister: Hungary should leave EU, Quelle: Politico 2016-09-13 |
8. | ↑ | Die Venedig-Kommission kommt erneut nach Polen, Quelle: Radio Poland 2016-09-09 |
9. | ↑ | Nechcete uprchlíky, dostanete méně peněz z fondů EU, ozývá se z Německa, Quelle: Noviky.cz 2015-09-15 |