Der europäische Blickwinkel. Auf dem Weg in die Welt von Morgen.




Italien ist verantwortlich für seine Migrationskrise und muss damit selbst zurechtkommen.

In Italien herrscht eine kognitive Unstimmigkeit, wenn es um die Migrationskrise geht. Sowohl die Politiker, als auch Mainstream-Medien, seien sie links- oder rechtsorientiert, Verfechter der Globalisierung oder „Populisten”, beschuldigen andere europäische Länder ihrer angeblich mangelnder Solidarität – die Länder wollen 180 000 Menschen, die Italien im vorigen Jahr einließ, nicht aufnehmen. Es ist keine Schuld der Visegrád-Gruppe. Beim EU-Treffen in Tallin hörte die italienische Regierung vom französischen Präsidenten ein „Non” dazu. Er begründete seinen Standpunkt mit dem Argument, dass 80% der Ankömmlinge ökonomische Migranten seien,1)Italy aims to focus attention on the migrant emergency at G20 in Hamburg, Il Sole 24 Ore 2017-07-03.ein politisch korrekter Ausdruck für illegale Migranten, die ausgewiesen werden sollen; sie hörte auch ein „No’’ von Spanien und ein „Nein’’ von Österreich und von anderen Teilnehmern.

Der Standpunkt der Europäischen Kommission bleibt unverändert: Italien soll die Verteilung der Migranten in andere Länder beschleunigen, wobei es sich auf die Hilfe der EU verlassen kann.2)Central Mediterranean Route: Commission proposes Action Plan to support Italy, reduce pressure and increase solidarity, European Commission 2017-07-04.
Es sieht danach aus, als gäbe es keine Solidarität mehr, trotzdem gab es einen Aufschrei der Medien und Politiker, unabhängig von ihrer Orientierung: „Europa hat uns verlassen!’’ oder „Sie haben uns im Stich gelassen!”Als gäbe es in Italien eine Naturkatastrophe und das Land nicht selbst dafür verantwortlich wäre, was im Land passiert. Kann es eine noch größere Entfremdung von der Realität geben?

Die „populistische” Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle) zeigte den Knackpunkt des Themas. Sie entdeckte nämlich eine Aufnahme3)Disinnescare la trappola dell’immigrazione, subito!, Il Blog delle Stelle 2017-07-05.mit Emma Bonino, der ehemaligen Ministerin für Auswärtiges, die zusagte, dass Italien es bewilligte, dass jede von Frontex gerettete Person nach Italien gebracht wird. Es kommt also endlich ans Licht: alle Migranten wurden nach Italien geschickt, weil… die italienische Regierung so beschlossen hatte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der damalige Ministerpräsident Matteo Renzi die Flexibilität der Europäischen Kommission zur heiklen Frage des italienischen Staatsbudgets als Gegenleistung für Aufnahme aller von Frontex auf internationalen und italienischen Gewässern übernommenen Migranten aushandelte.

Wir durchleuchteten wohl die Sache. Es war kein üblicher Deal. Daraus ist zu schließen, dass die Migrationspolitik von Monti, Letta und Renzi, gar nicht chaotisch, sondern sorgfältig geplant war und ist. Die italienischen NGOs liefern ihnen dabei politische Argumente, juristische Unterstützung und Lobbying im Rahmen des italienischen politischen Systems, und die internationalen NGOs sorgen für den Transport aus Afrika nach Italien. Die Idee, die dem Handeln vorschwebt, ist einfach: Einfuhr von Migranten aus anderen Kontinenten soll der niedrigen Geburtenrate in Italien entgegenwirken. Ähnliches ist auf der Website der Vereinten Nationen unter „Austausch der Bevölkerung durch Migration’’ zu lesen.4)Replacement Migration: Is It a Solution to Declining and Ageing Populations?, United Nations.

Emma Bonino deutete selbst an, dass die italienische Regierung solche Politik einschlug, indem sie behauptete, dass Italien jährlich 160 000 Migranten aufnehmen soll,5)Bonino: “Abbiamo bisogno di 160’000 immigrati all’anno”, Ala News 2017-03-17.Laura Boldrini, die Vorsitzende des Unterhauses, spricht sogar von 300 000-400 000,6)Migranti, Boldrini a Palermo: 300-400 mila ingressi per potere “salvare” l’Italia, Il Giornale di Sicilia 2016-03-12.,und Luigi Manconi, Senator von der regierenden Demokratischen Partei, Autor des Buches „Accogliamoli Tutti” [Lasst uns sie alle empfangen]7)Accogliamoli Tutti, A Buon Diritto.nennt dieselben Argumente. Die Regierungen von Monti und Letta bemannten die Ministerien für Migration und Integration mit Mitgliedern der „Comunità di Sant’Egidio”: im Ressort saßen der Präsident des Vereins Andrea Riccardi sowie Cécile Kyenge, die übrigens das Vorwort zum Buch von Manconi schrieb. Warum sind also alle mit der Migrationskrise überrascht, wenn Regierungsmitglieder, die für Migration und Auswärtiges zuständig sind, offen sagen, dass sie hunderte tausende Menschen aufnehmen wollen und sogar so weit gehen, dass sie sagen, dass „wenn sie zu uns nicht selbst kämen, müssten wir sie auf eigene Faust aus Afrika holen”?(Bonino auf seiner Homepage,8)Se non arrivassero, dovremmo andare a prenderli, Radicali 2017-01-28.

Komisch ist es, dass Manconi und Bonino, die Verfechter der Politik, die ihrer Meinung nach für die italienische Wirtschaft günstig sei, jetzt von anderen europäischen Ländern verlangen, dass sie ihre Türen weit öffnen und Migranten 200 000 befristete Visen zuerkennen.9)Migranti, Times: “L’opzione ‘nucleare’ dell’Italia contro l’emergenza: 200mila visti temporanei”, Il Fatto Quotidiano 2017-06-17.

Was soll’s? Behaupteten sie nicht etwa, dass Aufnahme aller, egal wer das ist, die italienische Wirtschaft fördern wird? Warum wollen sie jetzt die Migranten loswerden und mit ihnen Europa beschenken? Am anstößigsten ist dabei nicht der Mangel an Verantwortung, sondern die Tatsache, dass es dazu in der italienischen Öffentlichkeit keine Debatte gibt. Alles wird so akzeptiert, als wäre alles überprüft worden, als gäbe es keine Zweifel. Die politischen Entscheidungsträger werden als Menschen dargestellt, die für das Wohl der Republik handeln, und nicht als die, die Ursache aller Probleme sind. Es soll sich also niemand wundern, dass Europa darauf nicht „solidarisch” reagiert.

Es scheint, dass der Wahnsinn nie enden wird. Die Partei Movimento 5 Stelle, die dem Problem auf den Grund geht, setzt sich zur Machtübernahme nach den Wahlen im Februar an und sucht nach Expertenmeinung darüber, wie die Migration gemanagt werden soll. In seinem Blog veröffentlichte Beppe Grillo zwei Ideen. Auf die eine kam Paolo Morozzo della Rocca,10)Le vie legali d’accesso, Il blog delle stelle 2017-07-21.vom Verein Comunità di Sant’Egidio, also den Menschen, die für die Migration zur Amtszeit von Monti und Letta verantwortlich waren, die außerordentlich teure Operation „Mare Nostrum” durchführten. Auf die andere: Maurzio Veglio11)il ricollocamento dei richiedenti asilo, Il blog delle Stelle 2017-07-21.von ASGI (Verband für Juristische Studien über Migration), der dem italienischen Netzwerk von Soros gehört, ebenso wie A Buon Diritto des Demokraten Manconi.

Die beiden Ideen sind an die früheren ähnlich: man soll die Menschen aufnehmen, egal, ob die Menschenmenge zu unterhalten ist, und dann an die übrigen europäischen Länder appellieren; und weil eben die Politiker sich für Kenner auf dem Gebiet halten, ist es klar, dass schuld daran der Rest Europas ist, wenn es sich herausstellt, dass ihre Ideen unmöglich umzusetzen oder sogar schädlich sind. Ungeachtet dessen, welche Partei im nächsten Jahr an die Macht kommt: die Migrationskrise wird weiterhin bestehen und die anderen europäischen Staaten werden weiterhin daran nicht teilnehmen wollen.

References   [ + ]

1. Italy aims to focus attention on the migrant emergency at G20 in Hamburg, Il Sole 24 Ore 2017-07-03.
2. Central Mediterranean Route: Commission proposes Action Plan to support Italy, reduce pressure and increase solidarity, European Commission 2017-07-04.
3. Disinnescare la trappola dell’immigrazione, subito!, Il Blog delle Stelle 2017-07-05.
4. Replacement Migration: Is It a Solution to Declining and Ageing Populations?, United Nations.
5. Bonino: “Abbiamo bisogno di 160’000 immigrati all’anno”, Ala News 2017-03-17.
6. Migranti, Boldrini a Palermo: 300-400 mila ingressi per potere “salvare” l’Italia, Il Giornale di Sicilia 2016-03-12.
7. Accogliamoli Tutti, A Buon Diritto.
8. Se non arrivassero, dovremmo andare a prenderli, Radicali 2017-01-28.
9. Migranti, Times: “L’opzione ‘nucleare’ dell’Italia contro l’emergenza: 200mila visti temporanei”, Il Fatto Quotidiano 2017-06-17.
10. Le vie legali d’accesso, Il blog delle stelle 2017-07-21.
11. il ricollocamento dei richiedenti asilo, Il blog delle Stelle 2017-07-21.

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