Der europäische Blickwinkel. Auf dem Weg in die Welt von Morgen.




Nein, es stimmt nicht, dass die UE Afrika militarisiert, um Migration zu stoppen, sondern um sie zu organisieren.

Wir schlagen eine gegenteilige Analyse vor als die, die im Text “EU Militarizes Africa to Halt Migration” [Europa militarisiert Afrika, um Migration zu stoppen.] auf der Website der Strategic Culture Foundation dargestellt wurde.1)EU militarizes Africa to half migration, Strategic Culture Foundation 2017-12-23.Obwohl der Artikel einen interessanten Einblick in das neueste neo-imperialistische militärische Engagement der europäischen Länder in Afrika unter Anführung Macrons bietet, können wir nicht den Thesen zustimmen, welchen Einfluss es auf die Migrationswelle haben wird und welche Ziele dabei die EU wirklich verfolgt. Die letzten Ereignisse lassen andere Schlussfolgerungen ziehen. Also von Anfang an.

Im letzten Sommer, als es publik wurde, dass Nichtregierungsorganisationen Migranten nach Italien bringen und mit Schleusern zusammenarbeiten, schlug der neu gewählte Präsident Frankreichs Emmanuel Macron sofort eine Lösung vor: spezielle Sammelpunkte in Afrika, wo Bedürftige Unterkunft finden und sich um den Flüchtlingsstatus bewerben könnten.2)Macron wants asylum claims to start in Africa, EUobserver 2017-08-29.Von da könnten sie im Namen des Gesetzes, falls sie den Status erhalten würden, nach Europa gebracht werden.

Schon seit einigen Wochen wird der Plan realisiert: die ersten Gruppen der überprüften Asylanten wurden nach Frankreich3)Flüchtlinge werden aus Afrika direkt nach Frankreich gebracht, Die Welt 2017-12-18.und Italien gebracht,4)UN evacuates refugees to Italy from Lybia for the first time, Reuters 2017-12-22.und die Regierungen der europäischen Länder schicken ihre Soldaten nach Afrika, um da vor Ort die Migrantenwelle besser zu verwalten. Die ersten Gruppen kommen aus den Regionen, die am schwersten von Unruhen betroffen sind, aus Libyen, wo es keine stabile Regierung gibt, was ironischerweise das Resultat der französischen Intervention Frankreichs vor ein paar Jahren ist, als der „arabische Frühling” zum Sturz Muammar Gaddafis führte und das Land in den unendlichen Bürgerkrieg verwickelte. Als dann die italienische Regierung teilweise (weil sowieso jeden Monat nach Italien 6000 Migranten kommen)5)Cruscotto Statistico, Ministero dell’Interno 2017-12-22.die Transitroute nach Libyen schloss, blieben die, die es nicht übers Meer schafften, im nordafrikanischen Land stecken, und die NGOs begannen über die Verletzung der Menschenrechte und über den blühenden Sklavenhandel zu sprechen. Was zurzeit als Hilfe für Migranten angeboten wird, wird „humanitäre Korridore” genannt und von NGOs befürwortet. Asylanten werden ans Ziel gebracht, und diejenigen, die kein Asyl erhielten, in ihre Heimatsländer zurückgeschickt.

In der vorigen Woche schrieb Dimitris Avramopulos, der EU-Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerschaft, zum „Internationalen Tag der Migranten” einen Artikel für Politico,6)Europe’s migrants are here to stay, Politico 2017-12-17. in dem er seine Aufopferung für die Politik der offenen Grenzen zum Ausdruck brachte, die er so sieht: der Zufluss wird nicht gestoppt, sondern kontrolliert.

Daher eine andere Schlussfolgerung, zu der wir kamen. Die unterscheidet sich von der, die auf der Website der Strategic Culture formuliert wurde: es stimmt, dass das liberale EU-Establishment sich vor dem Aufmarsch der Rechtsorientierten fürchtet, die gegen Migranten sind, was letztens ihren Ausdruck in der Koalition zwischen Sebastian Kurz und der FPÖ, die jetzt in Österreich mitregiert, fand; Das EU-Establishment glaubt doch, dass die Ablehnung seiner Politik von der Mehrheit nicht begründet ist, weil es von einer Undankbarkeit zeugt: die Menschen seien nicht im Stande das Gesamtbild zu erfassen, wissen nicht das Wohl, das angeblich von lebendigen, multikulturellen Gesellschaften kommt, nicht zu schätzen und lassen sich von populistischen Politikern und der russischen Propaganda irreführen.

Der freie Verkehr der Arbeitskräfte sowie der Waren und des Kapitals bleibt weiterhin der Grundstein des modernen Liberalismus. Was sich änderte, ist es, wie die liberalen Eliten daran herangehen. Ihnen ist es bewusst, dass Brexit mindestens teilweise aus dem Migrantenzufluss resultierte, der Folge der Entscheidung Merkels war, die Grenzen für Flüchtlinge aus Syrien zu öffnen. Ihrer Meinung nach liegt das Problem nicht in der Politik Merkels, sondern in den Medien, die über die Ankömmlinge berichten und Angst unter Europäern verbreiten, von Migranten überflutet zu werden. Diese neue Herangehensweise, die humanitären Korridore, ändert doch nichts – weiter werden Migranten geholt. Es wird aber sorgfältig organisiert, nichts mehr wird der Öffentlichkeit auffallen. Migranten werden nicht mehr zu Fuß, sondern mit Schiffen oder Flugzeugen kommen.

Die liberale Elite will zeigen, dass sie Problem lösen kann, ohne die Werte aufzugeben, an die sie glaubt.

Es erinnert an die Maßnahmen Merkels, die sie mit Erdoğan vereinbarte. Einerseits wurde damals die riesige Menschenwelle gestoppt, andererseits wurden mehre hundert tausend syrische Flüchtlinge mit Flugzeugen nach Deutschland gebracht. Liberale Führer sind überzeugt, dass die Migration kein Problem sei, wenn sie mit Verstand durchgeführt wird und dass Europäer zu beruhigen seien, wenn sie entsprechend von Medien beeinflusst werden.

Stimmt es wirklich?

Schauen wir uns die Effektivität der Politik Merkels an, da sie bisher ein Präzedenzfall war. Die Antwort lautet: nein. Die Deutschen überzeugten sich schon, und es war unangenehm für sie, dass man mehrere hundert tausend Menschen in einer so kurzen Zeit nicht integrieren kann, weder wirtschaftlich noch sozial. Am Anfang dieses Jahres begann Merkel die Aktion ‘’der gemeinsame Weg vorwärts’’ – die afghanischen Flüchtlinge werden in ihre Heimat zurückgebracht. Aber auch dabei gab es Schwierigkeiten, da Piloten sich wegen der Sicherheit weigerten, dahin zu fliegen. Was auch immer man darüber sagen könnte, steigen die Kosten, deswegen sucht die deutsche Regierung nach Lösungen, damit auch die Flüchtlinge aus Syrien nach Hause geschickt werden können,7)Germany is preparing to send refugees back to Syria, Foreign Policy 2017-12-6.was den Anhängern der Politik der offenen Grenzen nicht gefällt.

Die Maßnahmen stellten Merkels Glaubwürdigkeit in den Augen eines großen Teils ihrer Wählerschaft in Frage. Im Wahlkampf glaubten ihre Wähler zu wissen, für wen sie ihre Stimme abgeben und was von ihr zu erwarten ist; es war aber ganz anders. Nach den Wahlen im vorigen Jahr, bei denen Merkel, viele Stimmen zugunsten der AfD verlor, ist sie nicht im Stande, eine Regierung zu bilden. Die Jamaika-Koalition scheiterte. Käme es zu neuen Wahlen, müsste sie Macht aufgeben; inzwischen wählte die liberale Elite einen neuen „Führer der freien Welt” – die Position war früher, bis Donald Trump auftauchte, ausschließlich für amerikanische Präsidenten reserviert. Es sieht danach aus, dass man nach einem neuen Führer suchen muss. Ein geeigneter Kandidat scheint Macron zu sein, der aber schon dieselben Fehler wie Merkel macht.

Der Versuch Merkels, die sozialen Netzwerke zu zensieren, um den Widerstand der Menschen gegen ihre Politik niederzuschlagen, scheiterte auch. Das Problem sind nämlich nicht die Medien, nicht die angeblich unbegründete Kritik seitens der Europäer: das Problem sind Merkels Maßnahmen.

Alternative

Avramopoulos brachte seinen unerschütterlichen Standpunkt zum Ausdruck: die Migranten sind nicht zu stoppen. Als doch Schweden, das Land, das der Politik der offenen Grenzen am treuesten ist, feststellte, dass der Zufluss der Fremden ihre Kapazitäten der Integration, darunter sind Unterkunft, Bildung und soziale Ordnung gemeint, überfordert, führte es Kontrollen an der Grenze zu Dänemark wieder ein, um den Menschenzufluss aus der Dritten Welt einzuschränken, was von einer Ministerin aus der rot-grünen Koalitionen mit Tränen in den Augen bekanntgegeben wurde.8)Sweden’s deputy prime-minister cries while announcing refugee u-turn, The Guardian 2015-11-24.Vor Kurzem gab der schwedische Ministerpräsident zu, dass “die Integration nicht funktioniert’’9)Integrationen fungerar inte som den ska, Dagens Nyheter 2017-12-21.und das ihre Kosten Schweden überfordern. Was für Avramopoulos Wahrheit ist, kann sich ebenso gut als Lüge erweisen, da wir uns in der Orwellschen Phase des Liberalismus befinden, wo die Worte umgekehrt zu verstehen sind. Der Zufluss der Menschen, der vom Chef der EU geplant wurde, erwies sich schon als eine Überforderung; wenn er nicht Willen und Kraft haben wird, den Zufluss anzuhalten, muss ein anderer das tun müssen, ohne dass auf die humanitäre Hilfe verzichtet wird. Sind humanitäre Hilfe und die Notwendigkeit, den Migrantenfluss nach Europa zu stoppen, vereinbar?

Statt die Maßnahmen wie UN/UNHCR/IOM zu finanzieren, im Rahmen deren die Flüchtlinge mit Flugzeugen nach Europa gebracht werden, könnte man versuchen, Lager in stabilen Ländern, die an Kriegsgebiet grenzen, zu errichten. Wenn z.B. ein Konflikt in Eritrea ausbricht, dann könnten die EU und andere europäische Länder eine zusätzliche Hilfe für das benachbarte Äthiopien vorschlagen. Im Gegenzug könnten da Flüchtlingslager errichtet werden, wo es an Ort und Stelle den Migranten Sicherheit gewährleistet werden könnte. Würde ein Konflikt im Sudan ausbrechen, könnten solche Lager in der Zentralafrikanischen Republik, in Tschad, Kenia oder in der Demokratischen Republik Kongo gebaut werden.

Die humanitäre Hilfe vor Ort hat viele Vorteile im Vergleich zu den humanitären Korridoren und erlaubt Europa bezüglich humanitärer Hilfe Gesicht zu wahren.

  1. Hilfebedürftige hätten dadurch näher zu den Orten, wo sie beherbergt werden könnten, ohne sich nach Libyen oder an die nordafrikanische Küste begeben zu müssen.
  2. Es wäre finanziell vorteilhaft; der Oxforder Professor Paul Collier behauptet, dass der Schutz der Flüchtlinge vor Ort 135 billiger sei, als ihre Reise nach Europa, weil die Währungen da schwach und das Lebensniveau niedrig ist.10)Refuge: rethinking refugee policy in a changing world; Alexander Bettis, Paul Collier 2017, Oxford University Press.
  3. Niedrigere Ausgaben würden bedeuten, mehr Menschen könnten im Rahmen derselben finanziellen Mittel die Hilfe genießen.
  4. Wenn die Bedrohung vorbei wäre, wäre es für Migranten leichter in ihre Heimat zurückzukehren.
  5. Die Familienzusammenführung wäre leichter.
  6. Solches Vorgehen würde den Europäern zeigen, dass ihre Führung, sie ernst nimmt, wodurch Eliten und Massen näher kämen, auch wenn die Sache sie so sehr trennt.
  7. References   [ + ]

    1. EU militarizes Africa to half migration, Strategic Culture Foundation 2017-12-23.
    2. Macron wants asylum claims to start in Africa, EUobserver 2017-08-29.
    3. Flüchtlinge werden aus Afrika direkt nach Frankreich gebracht, Die Welt 2017-12-18.
    4. UN evacuates refugees to Italy from Lybia for the first time, Reuters 2017-12-22.
    5. Cruscotto Statistico, Ministero dell’Interno 2017-12-22.
    6. Europe’s migrants are here to stay, Politico 2017-12-17.
    7. Germany is preparing to send refugees back to Syria, Foreign Policy 2017-12-6.
    8. Sweden’s deputy prime-minister cries while announcing refugee u-turn, The Guardian 2015-11-24.
    9. Integrationen fungerar inte som den ska, Dagens Nyheter 2017-12-21.
    10. Refuge: rethinking refugee policy in a changing world; Alexander Bettis, Paul Collier 2017, Oxford University Press.

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