China wird Euroasien regieren

Jeder Staat versucht möglichst viele Gewinne zu erwirtschaften. Die kommen zum größten Teil aus Steuern, die Zölle bleiben nach wie vor auch eine wichtige Einnahmequelle. Die den neoliberalen US-Eliten dienende Obama-Regierung schmiedete einen Plan zur Umzingelung Chinas im Asien-Pazifik-Raum namens TPP. Die Transpazifische Partnerschaft sollte China dazu bringen, seinen Markt völlig zu öffnen, auf Zölle zu verzichten und sein Recht an das amerikanische anzupassen. TPP wurde von vielen seinen Kritikern, merkwürdigerweise vor allem in Europa und in den USA, und nicht in China, angeprangert. Am bekanntesten ist wohl die Aussage von Julian Assange: „Sollte der Vertrag angenommen werden, wird das Marken-Regime der TPP auf Menschen- und Bürgerrechten herumtrampeln“TPP wurde nämlich dazu erschaffen, den US-Konzernen Vorsprung in Asien zu gewährleisten, indem die Souveränität, der daran teilnehmenden Länder begrenzt würde. Trump erkannte, dass Demokraten mit dem Projekt sich auf sehr dünnem Eis bewegten, kündigte den Vertrag und begann seinen Handelskrieg mit… Zöllen, was dem US-Budget beträchtliche Gewinne brachte. Beide Regierungen – Obamas und Trumps – realisierten und realisieren mit verschiedenen Mitteln jedoch dieselbe Strategie: Amerika muss Supermacht Chinas entgegenwirken. Die Strategie scheitert.

Chinas Plan der Neuen Seidenstraße widersetzt sich den amerikanischen Versuchen, die Rolle Pekings im Welthandel zu verringern. TPP funktioniert auch ohne USA und China ist von den daran teilnehmenden Ländern im Pazifik umzingelt. Japan, Vietnam, Brunei, Malaysia, Singapur bilden einen Halbkreis um das Südchinesische Meer, das im Handel mit dem Rest der Welt für China eine Schlüsselrolle spielt. Deswegen entschlossen sich Chinesen den Handel auf Schiene zu verlegen. Ein kühnes, riesiges und riskantes Projekt. Schauen wir uns es genauer an.

Der Hauptunterschied zwischen der Neuen Seidenstraße und TPP beruht darin, dass sie die anzubindenden Länder Asiens und Europas nicht zwingt, ihre Politik und Gesetze zu ändern. Die im Rahmen des großen chinesischen Projekts entstehenden Straßen und Zugstrecken werden nicht nur für China, sondern auch für die Länder von Vorteil sein, in denen sie verlaufen werden. Allerdings können sich hier die Chinesen derselben Methode bedienen, die westliche Länder überall in unterentwickelten Ländern anwenden, und die Länder von sich durch Kreditvergabe und Abhängigkeit von den chinesischen Unternehmen (z.B. von denen, die neue Infrastruktur warten werden) abhängig machen. Einerseits wird das Wachstum der Länder an der Neuen Seidenstraße angekurbelt, andererseits können sie leicht in die Schuldenfalle Pekings geraten. So übernahm Peking schon übrigens einen großen Hafen in Sri Lankaund kauft sich langsam Pakistan.
Weiterlesen

Elektrofahrzeuge oder wie man die Nachfrage weltweit steigert

Eine gute Sache – Produkt oder Dienstleistung – verbreitet sich wie ein Lauffeuer, ohne dass darüber viel geredet wird, ohne viel Werbung, geschweige denn, jemand wird zu seinem Kauf gezwungen. So war es mit Autos, Radio oder Fernseher, DVD- oder CD-Playern, PCs oder Mobiltelefonen. Eine gute Sache wird von Menschen geschätzt und die Nachfrage danach ist natürlich und wächst. Werbung betrifft nur Marken, nicht aber die Sache, das Gerät an sich selbst. Wurden weltweit Maßnahmen zur Durchsetzung von PCs ergriffen? Wohl kaum. Die Attraktivität des Produkts, seine Nützlichkeit für Unterhaltung, Geschäftsleben oder Bildung konnten nicht überschätzt werden. Gleiches gilt für Mobiltelefone. Jeder wollte einen haben und schätzte die Vorteile, die das Gerät seinem Besitzer bot. Wie sieht es mit Elektrofahrzeugen aus?

Seit Jahren sind wir alle einer intensiven Propaganda ausgesetzt; Regierungen haben den Käufern von Elektroautos Zuschüsse versprochen, und die Menschen fühlen sich schuldig, wenn sie weiterhin Benziner, Diesel oder Gasfahrzeuge fahren wollen, weil sie angeblich die Umwelt schädigen. Das elektrische Transportmittel sei die Zukunft der Kommunikation ohne jegliche Alternative. Was kann man über diese hektischen und verzweifelten Maßnahmen der Elektrofahrzeuganbieter sagen?


Quelle: Wharton University of Pennsylvania.

Die Automobilindustrie ist eine der treibenden Kräfte der Wirtschaft. Im Großen und Ganzen konzentriert sie sich in nur sehr wenigen Ländern – Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Schweden – und bringt diesen Ländern ein enormes Einkommen und bietet Arbeitsplätze für Millionen ihrer Einwohner. Die Branche hatte sich jahrzehntelang entwickelt, bis sie einen Sättigungspunkt erreichte: In der westlichen Welt hatten in den achtziger Jahren alle, die wollten, ein Auto, und Familien besaßen oft zwei. Die Situation der Branche wurde aussichtslos. Unter solchen Umständen war der Zerfall des Sowjetblocks ein Geschenk des Himmels, ein Glücksfall, ein Segen. Plötzlich – von einem Tag auf den anderen – vergrößerte sich der Automarkt um ganz Osteuropa und die postsowjetischen asiatischen Republiken. Wenn Sie alt genug sind, werden Sie sich daran erinnern: Eine der ersten sichtbaren Veränderungen in den ehemaligen sozialistischen Ländern war das rasche Verschwinden von Ladas, Trabants, Wartburgs, Skodas, Dacias, Moskvitsches, Saporoshezs und, und, und. Sie wurden alle verschrottet, während eine Reihe westlicher Automarken Ostdeutschland, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Litauen, Lettland, Estland, Weißrussland, die Ukraine, Moldawien und Russland überflutete. Einerseits hat sich der Westen von seinem Bestand an alten Autos befreit (zu dieser Zeit wurden hauptsächlich gebrauchte Fahrzeuge östlich der Elbe gekauft), andererseits begann er, Ketten von Autohäusern für osteuropäische Kunden einzurichten, deren Träume sich endlich erfüllten: Sie konnten endlich einen Renault, Peugeot, Citroen, Audi, BMW, Volkswagen, Mercedes, Volvo, Toyota, Nissan oder Mazda besitzen. War es nicht eine Blütezeit für die westliche Automobilindustrie? Weiterlesen

No F *** king Around Coalition

oder wie ethnische, rassische, religiöse oder soziale Minderheiten revolutionäre (sprich: staatsgefährdende) Werkzeuge in den Händen der Manager der Welt sind. Wenn Sie glauben, dass es Lenin oder Mao waren, die die Machtergreifung siegreich durchgeführt haben, ohne dass jemand viel in sie, ihre Parteien und Kameraden investiert hat, dann denken Sie noch einmal darüber nach.

Im Juli dieses Jahres fanden in den Vereinigten Staaten zum großen Entsetzen der weißen Amerikaner zwei Märsche statt, die aus Schwarzen bestanden, bewaffnet mit Angriffswaffen, maskiert und in schwarze Militärausrüstung gekleidet: einer im Stone Mountain Memorial Park (4. Juli) und der andere in Louisville, Kentucky (25. Juli). Sie wurden von dem organisiert, was sich selbst als No F *** king Around Coalition (NFAC) nennt und von John Grandmaster Jay Johnson geführt wird. So nennt er sich zumindest. Aus den wenigen zusammenhanglosen Aussagen, die Großmeister Jay gnädig abgegeben hat, kann man erfahren, dass die NFAC gegen den systemischen Rassismus (wie üblich), gegen weiße Gewaltakten (wie oft haben wir das gehört?) protestiert und sogar ein separates Territorium für Schwarze fordert. Texas ist eine Option.


Quelle: Roland S. Marin, YouTube.

Das sind die Fakten, das sind die Ereignisse. Nun ein paar Beobachtungen. Weiterlesen

Nord Stream 2 spaltet die westliche Welt

Wenn wir die aktuelle Situation verallgemeinernd darstellen sollten, würden wir das folgende vereinfachte Bild erhalten: Die Europäische Union ist in zwei Lager aufgeteilt: die alten und die neuen Mitgliedstaaten. Der Westen ist durch den Atlantik aufgespaltet: es ist – grob gesagt – Washington gegen Paris und Berlin. Die Welt ist in drei rivalisierende Großmächte aufgespaltet: die Vereinigten Staaten (starke Armee und starke Wirtschaft), Russland (starke Armee, schwache Wirtschaft) und China (schwache Armee, starke Wirtschaft). Westeuropa gravitiert mehr nach Russland, als nach Osteuropa; Osteuropa fühlt sich hingegen mehr von den USA angezogen, als von Westeuropa.

Die Sachlage auf dem alten Kontinent ist wie folgt.
[1] Deutschland braucht eine stabile Energieversorgung mit Erdgas und von vielen möglichen Versorgern hat es sich für Russland entschieden, weil
[2] Russland hat große Erdgasressourcen und benötigt Devisen, so ist es bereit, seine Rohstoffe jedem zu verkaufen.
[3] Deutschland und Russland haben ein Handelsabkommen geschlossen, infolgedessen eine Pipeline auf dem Ostseegrund gebaut wurde: Nord Stream 1.
[4] Da die Kapazität der Pipeline nicht genügend war, um die Nachfrage aus Deutschland und anderen westlichen Ländern zu decken, wurde ein weiteres Abkommen – Nord Stream 2 – unterzeichnet, kraft dessen eine weitere Pipeline auf dem Ostseeboden verlegt wird. Die Arbeiten daran werden bald fertig.
[5] Beide Erdölleitungen haben osteuropäische Länder – Ukraine, Polen, Tschechien und Slowakei – aufs Eis gelegt, was für sie einen Alarmzustand bedeutet, weil Russland bald den Gashahn an der Yamal-Pipeline (die durch Polen und Weißrussland läuft) und an der Pipeline „Freundschaft“ (durch Tschechien, die Slowakei und Ukraine), zudrehen kann, ohne dass dabei die westeuropäischen Länder beeinträchtigt wären. Somit wird die ökonomische Solidarität der EU bedroht. Weiterlesen

Die Ottomanen kommen!

Der gut orchestrierte arabische Frühling, der viele Regierungen in einigen Ländern stürzte, traf auch Libyen, ein Land, das zweiundvierzig Jahre lang von Muammar Gaddafi regiert wurde, unter dessen Führung das Volk des Landes als das wohlhabendste im ganzen Afrika galt. Der darauffolgende und bis jetzt nicht beendete Bürgerkrieg schuf ein Machtvakuum mit verschiedenen Akteuren, die um die Kontrolle über das Land wetteifern, das reich an Rohöl und Erdgas ist. Aus den fast zehn Jahren des Konflikts sind zwei große Rivalen hervorgegangen: die in Tripolis ansässige Regierung der Nationalen Übereinkunft (GNA) und der in Tobruk ansässige Abgeordneter Rat (englisch: HoR, arabisch: DMG). Ersteres wird von der Türkei und den Vereinten Nationen unterstützt, die übrigens zur Bildung der GNA beigetragen haben, während letzteres von Russland, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien und Ägypten gefördert wird.

Spielstein der Türkei in dem Spiel um Libyen tauchte im richtigen Moment auf, um die Waagschale des Sieges zu Gunsten der GNA zu neigen. Bis Ankara sich an die Auseinandersetzung anschloss, hatte die von General Khalifa Haftar, dem Anhänger der HoR, kommandierte libysche Nationalarmee (LNA) den größten Teil des Landes erobert und war dabei, auf Tripolis vorzustoßen. Die türkische Intervention kam gerade rechtzeitig, um die GNA zu retten und die sich annähernden Einheiten der LNA auf ihre vorherigen Positionen zurückzuwerfen. Warum interessiert sich Ankara eigentlich für die Region?

Libyen (d.h. drei Provinzen: Tripolitanien, Fessan und Kyrenaika) war jahrhundertelang ein Teil des Osmanischen Reiches, daher werden die politischen Entscheidungsträger der Türkei natürlich von den Regionen angezogen, in denen die türkische Herrschaft einen historischen Präzedenzfall hatte. Sie versuchen, ihren Einfluss auch auf dem Balkan auszudehnen – Einfluss auf Bulgarien, sowie Bosnien und Herzegowina mit ihren bedeutenden muslimischen oder türkischen Minderheiten, auf Albanien, das überwiegend muslimisch ist, ebenso wie auf Aserbaidschan im Kaukasus, auf Syrien und auf den Irak und in letzter Zeit auf Libyen. Die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan versucht immer intensiver, ihre internationale Einflusszone auszubauen und sich von den Beschränkungen zu befreien, die ihr die Westmächte nach dem Ersten Weltkrieg auferlegt hatten, insbesondere in Form des Vertrags von Lausanne aus dem Jahr 1923, der Ankaras Kontrolle über die Bosporus- und Dardanellenstraße und damit ihre Souveränität beschränkte. Um diese Restriktionen loszuwerden, hat die Türkei die Doktrin „Blaues Vaterland“ (Mavi Vatan) ausgearbeitet und umgesetzt, die die Ausweitung der maritimen ausschließlichen Wirtschaftszonen des Landes vorsieht.


Abkommen zwischen der Türkei und Libyen über Seegrenzen, das Blaue Vaterland der Türkei (Mavi Vatan) und die Grenzen der AWZ im östlichen Mittelmeerraum. Quelle: reddit.
Weiterlesen

Knotenpunkt der globalen Handelsrouten

Die fünf postsowjetischen zentralasiatischen Republiken – Kasachstan (19 Millionen Einwohner), Kirgisistan (6), Tadschikistan (8,5), Usbekistan (30) und Turkmenistan (5) – bilden eine gemeinsame Fläche von fast 4 Millionen Quadratkilometern (um etwa eine Million mehr als die Fläche Indiens oder Argentiniens), wobei ihre Gesamtbevölkerung 68 Millionen (vergleichbar mit der von Frankreich oder Großbritannien) beträgt, und sind ein sehr wichtiger Punkt auf dem Globus, der zwischen Russland, China, Pakistan, Afghanistan und dem Iran liegt. Im 19. Jahrhundert waren es Russen und Briten, die in das Gebiet eindrangen und dort um die Vorherrschaft wetteiferten: die ersteren aus dem Nordwesten, die letzteren aus dem Südosten. Ihre Rivalität erhielt den Namen des Großen Spiels. Die fünf Länder waren eine Art Kolonie des Russischen Reiches, obwohl sie – aufgrund der territorialen Nähe – in das Russische Reich integriert waren. Die indigenen Bevölkerungen – konfessionell, sprachlich und rassisch völlig fremd gegenüber den europäischen, orthodoxen Russen – bereiteten gelegentlich Probleme, die sich zweimal in einen offenen Aufstand gegen die russische Herrschaft verwandelten: 1916 und zwischen 1923 und 1924. Beide Versuche wurden niedergeschlagen, was viele Menschenleben kostete und zur massiven Auswanderung führte. Bischkek, kirgisische Hauptstadt, wurde dann in Frunse umbenannt, um den sowjetischen General zu ehren, der die Aufständischen besiegt hatte. Während die Menschen in Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan keine politische Vertretung in der russischen Duma unter den Zaren hatten, genossen sie es während der Zeit der Sowjetunion; zu dieser Zeit erfreuten sie sich auch einer Art Souveränität, wenn auch im Rahmen des kommunistischen Superstaates. In den 1980er Jahren bildeten sie den Brückenkopf für sowjetische Truppen, die in Afghanistan einmarschierten. Die Narben, die die Russen hinterlassen haben, haben sich in der Tat nicht geheilt: sie wurden nur eine Zeit lang gelindert. Als die Sowjetunion zusammenbrach, erklärten die fünf Republiken ihre Unabhängigkeit und begannen, sich den Vereinigten Staaten zuzuwenden.


Zentralasien, Quelle: Wikipedia.

Derzeit sind die fünf zentralasiatischen Staaten im Visier so mächtigen Akteure wie Russland, China und USA. Auch die Türkei spielt aufgrund der Gemeinsamkeit der Religion und der ethnischen Beziehung (beachten Sie die Ähnlichkeit der Bezeichnungen Türkei und Turkmenistan) eine gewisse Rolle in der Region. Die Bewohner dieses Gebiets suchen Arbeit in Russland oder lassen sich rekrutieren, um in Syrien gegen Baschar al-Assad zu kämpfen, der von Russland unterstützt wird. Das kollektive historische Bewusstsein ist voll von bitteren Erinnerungen an Russen, die gegen die Vorfahren der heutigen Bewohner der Region kämpften, und an die Russen, die vor vier Jahrzehnten ihre Glaubensbrüder in Afghanistan bekämpften. Das ist etwas, was Washington geschickt auszunutzen versucht.
Weiterlesen

Sie reden aneinander vorbei

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat die Umwandlung der Hagia Sophia von einem Museum in eine Moschee angekündigt. Der Tempel, der 537 erbaut wurde und tausend Jahre lang als die größte christlich-orthodoxe Kathedrale diente, wurde 1453 im Fall von Konstantinopel, der Hauptstadt von Byzanz, in eine Moschee umgewandelt. Nach vier Jahrhunderten, im Jahr 1934, wurde diese Moschee von Mustafa Kemal Atatürk in ein Museum umgewandelt, der sich als moderner Herrscher der säkularen Türkei der Welt präsentieren wollte. Die Ankündigung von Präsident Erdoğan stieß auf begeisterten Beifall der Muslime, nicht nur derjenigen, die in der Türkei leben. Ein Großteil der westlichen Presse prangerte diesen Schritt so an, Erdoğans Manöver ziele darauf ab, die Aufmerksamkeit der Nation von den aktuellen wirtschaftlichen Problemen abzulenken. Diese Erklärung – durch und durch marxistisch – berücksichtigt nicht einmal zwei Faktoren: psychologische (muslimischer Glaube) und politische (symbolische Botschaft an die Welt). Die Aufmerksamkeit einer Nation kann auf vielfältige Weise abgelenkt werden. Warum sollte es also eben die Umwandlung eines Museums in eine Moschee sein?


Die türkische Hagia Sophia verwandelte sich wieder in eine Moschee und sorgt für Spaltungen. CBC News: National YouTube.

Atheistische, deistische oder agnostische westliche Analytiker können das Phänomen des religiösen Glaubens, seine greifbare Realität, normalerweise nicht erfassen. In wissenschaftlicher Hinsicht kann der Glaube als ein psychologisches Phänomen angesehen werden, und psychologische Phänomene sollen ebenso wie die physischen ernst genommen werden, manchmal sogar noch ernster. Der Mensch wird in seinen Handlungen durch diese beiden Dinge eingeschränkt: durch die physische Realität und sozusagen durch seinen internen psychologischen Autopiloten. Es ist nicht wahr, dass der Glaube Berge im wahrsten Sinne des Wortes versetzen kann, aber es ist auch nicht wahr, dass alles eine Frage des physischen Zwangs ist. Es gibt Frauen, die Prostituierte werden, obwohl sie Geld wie Heu haben, und es gibt solche, die niemals in Betracht ziehen, sich selbst zu verkaufen, obwohl sie Not leiden.

Der religiöse (sprich: psychologische) Faktor ist ebenso stark wie der wirtschaftliche. Da die westlichen Liberalen es nicht begriffen, führten sie dazu, dass Millionen von Muslimen in (post-)christliche Länder importiert wurden. Die Liberalen betrachteten den religiösen Glauben als eine bloße Facette der Tradition, Kultur oder des Erbes, die nach Belieben geändert werden kann und kein ernstes Hindernis für liberale Ideen darstellt. Wie falsch sie da waren, ist heute deutlich zu sehen, wenn religiöse – hauptsächlich muslimische – Minderheiten ernsthafte soziale Probleme bereiten. Die Türkei hat ein spezielles Ministerium für religiöse Angelegenheiten (kurz Diyanet genannt) ins Leben gerufen, die auch im Ausland tätig ist, insbesondere unter den Türken, die in vielen westeuropäischen Ländern verstreut sind. In keinem der westlichen Länder gibt es etwas Vergleichbares. Das Diyanet verfügt über ein großes Budget und das Wort religiös in seinem Namen ist offensichtlich gleichbedeutend mit muslimisch.


Die Türkei verwandelt die Hagia Sophia wieder in eine Moschee, TRT World YouTube.

Westliche Analysten behaupten auch, dass Präsident Erdoğan Schluss mit der von Mustafa Kemal Atatürk aufgestellten säkularen Tradition mache, der nach dem Ersten Weltkrieg den modernen türkischen Staat auf den Ruinen des Osmanischen Reiches schuf. Entweder erkennen sie wirklich nicht, dass Säkularismus dasselbe ist wie Glaube oder Religion, nur mit dem ihm zugewiesenen Minuszeichen, oder sie tun es absichtlich, um sich als diejenigen zu präsentieren, die moralisch überlegen sind. Warum sollte Säkularismus etwas Besseres sein als Religiosität? Die westlichen Journalisten sind bestenfalls halbherzige Christen und können sich nicht vorstellen, wie ernst dieses als religiöser Glaube bekannte psychologische Phänomen sein kann. Wenn sie so unfähig sind, sich in die Lage echter Gläubiger zu versetzen, sollten sie zumindest etwas aus der Psychologie lernen. Wenn sie sich die Mühe machen könnten, wäre es gut. Dann hätten sie begriffen, dass Religion den höchsten Wert in der Psyche eines Menschen darstellt. Daher muss es nicht nur das Christentum oder der Islam sein; Religion kann in dieser Form die Form von Kommunismus, Faschismus, Feminismus oder Säkularismus annehmen. Einige Jahrhunderte zuvor hatten Europäer, die fremde Gebiete entdeckten, eroberten und verwalteten, das christliche Kreuz und die Bibel mitgebracht (eines von Columbus Schiffen hieß Santa Maria). Heute hissen westliche Mächte homosexuelle Regenbogenfahnen auf einem fremden Territorium und setzen die Akzeptanz homosexueller Rechte so durch, wie sie einst die Ureinwohner gezwungen haben, das Christentum zu akzeptieren.
Weiterlesen