Von einem Gastautor
Vor ein paar Tagen habe ich einen Artikel des renommierten deutschen Ökonomen Daniel Stelter gelesen. Dort erfuhr ich unter anderem, dass Italiener ein erstaunliches Privatvermögen von 9,900 Milliarden Euro haben, was italienische Familien weitaus wohlhabender macht als ihre durchschnittlichen deutschen oder europäischen Kollegen. Das sind praktisch 10 Billionen Euro in den Kassen der Italiener. Ich denke, Stelter stützte seine Annahme auf offizielle Daten, die nicht die ungeahnten Mengen Bargeld enthalten, das von sparsamen Italienern – insbesondere älteren – aufbewahrt werden, den Menschen, die Banken nicht vertrauen und daher ihr Geld in Ecken und Winkeln aufbewahren. Bekannt sind riesige Summen von wertlosen Lira, die immer noch in Häusern auftauchen, in denen alte Leute sterben. Stelters Schlussfolgerung ist deutlich zu sehen: Warum sollte der Rest der EU Italien helfen, wenn Italien mit dem Geld seiner Bürger geholfen werden kann?
Ich meditierte weiter über Stelters Artikel, während ich darauf wartete, dass ich an die Reihe kam. Ich saß – weit entfernt von anderen und trug meine Maske – in einer Halle einer Wohltätigkeitsorganisation. Ich landete an diesem Ort auf Anweisung eines Beamten, der Telefonanfragen wegen der Hilfe im Stadtamt beantwortete. Ich dachte, ich müsste Formulare ausfüllen, aus denen hervorgeht, dass ich aufgrund der aktuellen Situation meinen Job verloren und keine anderen finanziellen Mittel habe. Nichts davon war nötig, da sich herausstellte, dass das einzige, was die Stadtbüros tatsächlich tun – zumindest in einem Fall wie meinem – darin besteht, Menschen zu verschiedenen Wohltätigkeitsorganisationen zu schicken, damit sie dort „erklären“, warum sie um Essen gebeten haben. Wir alle – bis jetzt „normale“ Bürger mit Einkommen – wurden auf diese Weise praktisch auf den demütigenden Status von Bettlern reduziert.
Nach Stelters Daten – und nach einfachen Berechnungen – hätte ich bei der derzeitigen italienischen Bevölkerung von 60 Millionen Menschen Anspruch auf einen Betrag von ungefähr 166.000 Euro, ein paar Cent mehr oder weniger. Das wäre für mich wie ein Lottogewinn. Da ich noch nie so viel Geld gesehen habe, habe ich mich gefragt, was schiefgelaufen ist. Das erste, was mir beim Lesen des Artikels durch die Assoziation von Ideen in den Sinn kam, war ein vulgäres neapolitanisches Sprichwort, das grob übersetzt einen Weisen jemanden nennt, der – während er vorgibt zu weinen – sich auf eine sexuelle Handlung einlässt. Die neapolitanische Sprache ist in ihrer Ausdruckskraft konkurrenzlos, was übrigens die lokale Lebensphilosophie widerspiegelt.
Weiterlesen