Die Wirklichkeit findet ihren Niederschlag in Worten, Bildern und Symbolen und wird durch sie abgebildet. Diese wiederum haben ein Eigenleben, indem sie durch die Bedeutungen, die sie vermitteln, die Wahrnehmung der Welt prägen. Ein Tier oder eine bestimmte Spezies kann als Teil einer höheren Materie oder als ein mit einer Seele ausgestattetes Wesen wahrgenommen werden. Dementsprechend kann es ohne Gewissensbisse entsorgt oder verehrt werden. Denken Sie an Kühe in Indien; denken Sie an die Behandlung von Hunden und Katzen in Europa im Gegensatz zu der in China; denken Sie an die Haltung gegenüber Schweinen in der semitischen und nicht-semitischen Welt, an saubere und unreine Tiere, an essbare und ungenießbare Arten in verschiedenen Teilen der Welt.
Ähnliches gilt für die Menschen. Je nach Zeit und Ort werden sie – oder vielmehr verschiedene Kategorien von Menschen bzw. – genauer gesagt – verschiedene Klassen oder Gruppen von ihnen – als legitime Beute oder als Objekt der Verehrung betrachtet. Wera Muchinas Denkmal „Arbeiter- und Kolchosbäuerin“ von 1937 war eine Huldigung an die Menschen der Unterschicht, die im ersten sozialistischen Land in den höchsten Status der Verehrung erhoben wurden. Die Perspektive wurde geändert und so wurde die Kategorie der Menschen, auf die man einst herabschaute, in die Kategorie der Menschen umgewandelt, die als Säulen und Spitze der Gesellschaft angesehen wurden. Im Gegenzug wurden die Denkmäler für die Helden und Mitglieder der einst herrschenden Klassen abgerissen, Erinnerung an sie getrübt oder ausgelöscht. Bevor dieser epische Wandel stattfinden konnte, mussten Hunderte von Büchern, Gedichten, Bildern produziert werden, Hunderte von literarischen Werken oder Kunstwerken, die die Wahrnehmung der Realität angriffen und schrittweise transformierten und so den Weg für diesen Wandel ebneten. Der Prozess ist langsam, aber sehr effektiv. Er beginnt mit der Infragestellung des Heiligen und Akzeptablen, er setzt sich fort mit der Kritik am bisher Unantastbaren und Sakrosankten, er endet mit dem Umstürzen der Werteskala, mit der Erhebung der Sklaven und Knechte von gestern und der Herabsetzung der Herren und Patrizier von heute.
Der Arbeiter und die Kolchosbäuerin, ein Denkmal und zugleich Logo eines sowjetischen Filmstudios: die einst Unterdrückten, die an die Spitze der Gesellschaft erhoben wurden.
Auf diese Weise wurden die alten Götter Ägyptens, Griechenlands und Roms, die Gottheiten der keltischen, germanischen und slawischen Völker entthront; auf diese Weise wurde der Wert von Ehre und Würde durch den Wert von Produktivität und Effektivität ersetzt; auf diese Weise werden Frauen gegenüber Männern bevorzugt und Jugendliche gegenüber Erwachsenen befördert. Tiere werden – zumindest in der Welt des weißen Mannes – mit Ehrfurcht behandelt, so dass das Essen von Fleisch, das Tragen von natürlichen Pelzen und die Verwendung von Kosmetika, die an lebenden Kreaturen getestet wurden, verpönt sind. Diese und viele andere Veränderungen brauchen einige Zeit, bis sie vertragen werden können. Die Verfechter neuer Ideen sind beharrlich und schlau, ihre Gegner – verblüfft und letztendlich herumgekriegt oder zumindest unwirksam gemacht.
Der Weg zu tiefgreifenden, revolutionären, gewaltigen Veränderungen wurde schon immer durch Gedanken geebnet, Gedanken, die durch die Literatur, die bildende Kunst und – besonders heutzutage – durch die Kombination von beidem, die Filmindustrie, an immer größere Menschenmassen vermittelt wurden. Dies ist eines der effektivsten und überzeugendsten Werkzeuge, mit denen die Macher dieser Industrie die Wahrnehmung der Welt in den Köpfen von Dutzenden und Hunderten von Millionen Menschen formen können. Die Mehrheit der Menschen lernt ihre Geschichte, ihre moralischen und politischen Lektionen aus (überwiegend) Spiel- und (seltener) Dokumentarfilmen. Weiterlesen